Exotismus der Sinne.
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auch die Kenner, daß die 'sexuellen Begierden durch den Opium-
genuß gerade verringert werden. Eine Art Bestätigung findet
diese Vermutung dadurch, daß Verbindungsfäden zwischen den
Exotisten und den rein erotischen Schriftstellern, etwa einem
Andrea de Nerciat8 oder D’Hancarville9 kaum vorhanden sind.
Wenn wir uns im folgenden eingehender mit dem Wesen
der narkotischen Visionen beschäftigen, so geschieht es des-
halb, weil die Bolle, welche die narkotische Vision in den Er-
zeugnissen der Exotisten und darüber hinaus in der modernen
Literatur überhaupt gespielt hat, bisher weder in ihrem Zu-
sammenhänge noch in ihrer Bedeutung richtig verstanden worden
ist. Zum Teil hängt das damit zusammen, daß es für den Kri-
tiker im einzelnen Falle oft schwierig ist festzustellen, wie weit
Einwirkung von Narkotika vorliegt. Äußere Zeugnisse sind .zur
Unterstützung nur selten vorhanden. Opium und Haschich sind
— wenigstens im Abendlande — im Gegensatz zum Alkohol
Narkotika ungeselliger Art, so daß oft auch die nahen Freunde
der betreffenden Schriftsteller keinen Einblick in die wahren
Verhältnisse haben.10 Zuweilen machen wohl die Anhänger des
Haschisch und des Opiumlsi ihre Erfahrungen nach orientalischem
Muster oder auch aus bloßer Neugierde gemeinsam und tauschen
sie untereinander aus11, aber ein öffentliches Reden darüber
verbietet sich von selbst, weil das große Publikum, und zwar
nicht ohne Grund, im Genuß dieser Narkotika ein Laster sieht.
Für den Kritiker besteht eine weitere, schon angedeutete
Schwierigkeit darin, daß es auch visionäre Zustände auf anderer
als narkotischer Grundlage gibt, die sich ihrer Art nach kaum
von den narkotischen Zuständen unterscheiden. Immerhin lassen
sich, sowohl nach den Selbstzeugnissen der Exotisten12 wie auf
Grund von Beobachtungen bestimmte Merkmale herausfinden,
die mit ziemlicher Sicherheit einen Rückschluß auf Opium- oder
Haschichgenuß zulassen. So gibt es bestimmte Arten narko-
8 Vgl. GUILLAUME Apollinaire, L’Oeuvre du Chevalier Andrea de Nerciat,
Paris 1910.
9 MonUmens de la vie privee des douce Cesars (1780) und die Fortsetzung
Monumens du culte secret des darnes romains (1784).
10 Vgl. den Fall Baudelaire auf S. 60.
1* 1 Ich erinnere an die Gespräche zwischen Coleridge und De Ouincey
über Opiuni oder an den Freundeskreis um Gautier.
12 Eine Menge Material findet sich außer in den weiter unten besprochenen
Autoren auch bei CLAUDE FARRERE, Fumee d’Opium (1904).
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auch die Kenner, daß die 'sexuellen Begierden durch den Opium-
genuß gerade verringert werden. Eine Art Bestätigung findet
diese Vermutung dadurch, daß Verbindungsfäden zwischen den
Exotisten und den rein erotischen Schriftstellern, etwa einem
Andrea de Nerciat8 oder D’Hancarville9 kaum vorhanden sind.
Wenn wir uns im folgenden eingehender mit dem Wesen
der narkotischen Visionen beschäftigen, so geschieht es des-
halb, weil die Bolle, welche die narkotische Vision in den Er-
zeugnissen der Exotisten und darüber hinaus in der modernen
Literatur überhaupt gespielt hat, bisher weder in ihrem Zu-
sammenhänge noch in ihrer Bedeutung richtig verstanden worden
ist. Zum Teil hängt das damit zusammen, daß es für den Kri-
tiker im einzelnen Falle oft schwierig ist festzustellen, wie weit
Einwirkung von Narkotika vorliegt. Äußere Zeugnisse sind .zur
Unterstützung nur selten vorhanden. Opium und Haschich sind
— wenigstens im Abendlande — im Gegensatz zum Alkohol
Narkotika ungeselliger Art, so daß oft auch die nahen Freunde
der betreffenden Schriftsteller keinen Einblick in die wahren
Verhältnisse haben.10 Zuweilen machen wohl die Anhänger des
Haschisch und des Opiumlsi ihre Erfahrungen nach orientalischem
Muster oder auch aus bloßer Neugierde gemeinsam und tauschen
sie untereinander aus11, aber ein öffentliches Reden darüber
verbietet sich von selbst, weil das große Publikum, und zwar
nicht ohne Grund, im Genuß dieser Narkotika ein Laster sieht.
Für den Kritiker besteht eine weitere, schon angedeutete
Schwierigkeit darin, daß es auch visionäre Zustände auf anderer
als narkotischer Grundlage gibt, die sich ihrer Art nach kaum
von den narkotischen Zuständen unterscheiden. Immerhin lassen
sich, sowohl nach den Selbstzeugnissen der Exotisten12 wie auf
Grund von Beobachtungen bestimmte Merkmale herausfinden,
die mit ziemlicher Sicherheit einen Rückschluß auf Opium- oder
Haschichgenuß zulassen. So gibt es bestimmte Arten narko-
8 Vgl. GUILLAUME Apollinaire, L’Oeuvre du Chevalier Andrea de Nerciat,
Paris 1910.
9 MonUmens de la vie privee des douce Cesars (1780) und die Fortsetzung
Monumens du culte secret des darnes romains (1784).
10 Vgl. den Fall Baudelaire auf S. 60.
1* 1 Ich erinnere an die Gespräche zwischen Coleridge und De Ouincey
über Opiuni oder an den Freundeskreis um Gautier.
12 Eine Menge Material findet sich außer in den weiter unten besprochenen
Autoren auch bei CLAUDE FARRERE, Fumee d’Opium (1904).