16
Friedrich Brie:
Renaissance und den auf sie folgenden Jahrhunderten genau
so gut bekannt waren und gelesen wurden wie im 19. Jahr-
hundert. Entstanden doch aus solcher Kenntnis heraus in
Frankreich schon vor der Romantik Werke wie D’Hancar-
villes • Monumens15, in denen der Verfasser Serien von
selbstentworfenen Abbildungen von Ausschweifungen der rö-
mischen Kaiser als antike Kameen ausgab und durch entspre-
chende Stellen aus römischen Autoren erläuterte. In erster
Linie käme für eine Loslösung von der moralischen Einstellung
gegenüber den Erscheinungen des Altertums die Renaissance
in betracht, da die späteren Epochen wieder mehr zu lehrhaft-
moralischer Retrachtungswei.se neigen, — ist es doch noch für
das 18. Jahrhundert eine Streitfrage, ob nicht die Existenz eines
Catilina oder eines Borgia dem (Tedanken an eine vernünftige
Weltordnung widerspräche16 — aber auch für die Renaissance
fehlen wichtige Vorbedingungen, auf Grund deren allein exo-
tistische Veranlagungen sich hätten entwickeln können. Das
Entscheidende ist, daß sowohl die Renaissance wie auch noch
die folgenden Jahrhunderte verhältnismäßig naive Zeiten waren,
in denen man wohl vieles Fremdes nachahmte, aber sein Lebens-
ideal nicht außerhalb der Gegenwart Büchte. Eine Ausnahme
machen höchstens einige überbegeisterte Humanisten. Es fehlte
noch die Empfindung des ennui, ieis' fehlte noch der Abscheu vor
der Wirklichkeit und der Gegenwart, der zur Flucht in eine zweite
Welt der Träume und Phantasievorstellungen gedrängt hätte; es
fehlte auch noch das Selbstbewußtsein des Künstlers, das gewagt
hätte, solche egozentrischen, die Kultur der Zeit und die Umwelt
ablehnenden Ideale anzunehmen. Noch ist die Kunst zu sehr mit
der Öffentlichkeit verknüpft. Ein wenig kommt wohl auch in
Betracht, daß es noch an genügendem Stoff für den Aufbau einer
zweiten Welt fehlt, nicht so sehr an der Kenntnis der entspre-
chenden Seiten der Antike als an Kenntnis des Orients, die
beide aber erst, wie wir sahen, einander ergänzen und stützen.
Trotz der nahen Verbindung Italiens mit dem Osten wurde
selbst dort weder in der Renaissance noch im 18. Jahrhundert
der Orient als das Land der Sehnsucht empfunden; in dem
ganzen Zeitalter der Aufklärung! kann man im Grunde nur von
einer gewissen neugierigen Vorliebe für das Orientalische reden.
15 Vgl. oben S. 13.
16 Vgl. POPE, Essay on Man I, 155,
Friedrich Brie:
Renaissance und den auf sie folgenden Jahrhunderten genau
so gut bekannt waren und gelesen wurden wie im 19. Jahr-
hundert. Entstanden doch aus solcher Kenntnis heraus in
Frankreich schon vor der Romantik Werke wie D’Hancar-
villes • Monumens15, in denen der Verfasser Serien von
selbstentworfenen Abbildungen von Ausschweifungen der rö-
mischen Kaiser als antike Kameen ausgab und durch entspre-
chende Stellen aus römischen Autoren erläuterte. In erster
Linie käme für eine Loslösung von der moralischen Einstellung
gegenüber den Erscheinungen des Altertums die Renaissance
in betracht, da die späteren Epochen wieder mehr zu lehrhaft-
moralischer Retrachtungswei.se neigen, — ist es doch noch für
das 18. Jahrhundert eine Streitfrage, ob nicht die Existenz eines
Catilina oder eines Borgia dem (Tedanken an eine vernünftige
Weltordnung widerspräche16 — aber auch für die Renaissance
fehlen wichtige Vorbedingungen, auf Grund deren allein exo-
tistische Veranlagungen sich hätten entwickeln können. Das
Entscheidende ist, daß sowohl die Renaissance wie auch noch
die folgenden Jahrhunderte verhältnismäßig naive Zeiten waren,
in denen man wohl vieles Fremdes nachahmte, aber sein Lebens-
ideal nicht außerhalb der Gegenwart Büchte. Eine Ausnahme
machen höchstens einige überbegeisterte Humanisten. Es fehlte
noch die Empfindung des ennui, ieis' fehlte noch der Abscheu vor
der Wirklichkeit und der Gegenwart, der zur Flucht in eine zweite
Welt der Träume und Phantasievorstellungen gedrängt hätte; es
fehlte auch noch das Selbstbewußtsein des Künstlers, das gewagt
hätte, solche egozentrischen, die Kultur der Zeit und die Umwelt
ablehnenden Ideale anzunehmen. Noch ist die Kunst zu sehr mit
der Öffentlichkeit verknüpft. Ein wenig kommt wohl auch in
Betracht, daß es noch an genügendem Stoff für den Aufbau einer
zweiten Welt fehlt, nicht so sehr an der Kenntnis der entspre-
chenden Seiten der Antike als an Kenntnis des Orients, die
beide aber erst, wie wir sahen, einander ergänzen und stützen.
Trotz der nahen Verbindung Italiens mit dem Osten wurde
selbst dort weder in der Renaissance noch im 18. Jahrhundert
der Orient als das Land der Sehnsucht empfunden; in dem
ganzen Zeitalter der Aufklärung! kann man im Grunde nur von
einer gewissen neugierigen Vorliebe für das Orientalische reden.
15 Vgl. oben S. 13.
16 Vgl. POPE, Essay on Man I, 155,