Exotismüs der Sinne.
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haltspunkte bieten jedoch die eben zitierte Äußerung von De
Ouincey, ferner einige nicht zur Veröffentlichung bestimmte No-
tizen in Briefen und Tagebüchern und endlich die Dichtungen.
Danach würde er mehr noch als das Prunkvolle, Fremdartige
und Wollüstige den Zustand des ruhigen beseeligenden Glücks
gesucht haben, jenes Gefühl des überirdischen Wohlbehagens
und Dahinschwebens, wo der Körper seine Schwere verliert.
Unter der Einwirkung solcher Visionen preist er von 1797 ab
immer wieder den Zustand des indischen Vischnu. Wie dieser,
möchte er „entlang einem unendlichen Ozean umhertreiben, edn-
gewiegt in ein Lotus blatt und alle Millionen Jahre einmal für
ein paar Minuten aufwachen, nur um zu wissen, daß er wieder
eine Million Jahre zu schlafen habe“.43 Die Anspielungen auf
den indischen Vischnu, vor allem aber der wunderbare orien-
talische Palast in dem Versfragment Khubla Khan, das sich ein-
gestandenermaßen auf einer Opiumvision aufbaut, weisen darauf
hin, daß in den Visionen von Coleridge das orientalische Ele-
ment eine bedeutsame Rolle spielte. Wenn er trotz dieses zweiten
Lebens in der Entwicklung des Exotismus keine entscheidende
Stellung einnimmt, so liegt das einmal daran, daß seine exo-
tistische Veranlagung sich in so einseitiger Weise auf das Gebiet
der Opiumvisionen beschränkt, zum andern daran, daß er seinen
Erfahrungen in seinen Werken keinen freien Spielraum gewährt.
Daß er wie kein zweiter innerhalb der englischen Literatur dazu
berufen gewesen wäre, lehren die wenigen erhaltenen Verse von
Khubla Khan (1798).' Aber wie er seinen wunderbaren Reich-
tum von Beobachtungen, die sich bei ihm unter der Einwirkung
des Opiums einzustellen pflegten, nur zum allerkleinsten Teile
in seinen Dichtungen verwertet hat, so auch seine gewiß groß-
42 Brief an Thelwall vom 16. Oktober 179.7. Vgl. auch' die fast wörtlich
damit übereinstimmende Rede der Alhadra im Osorio V, 1, 39ff. (1797), ebenso'
eine Stelle in dem dramatischen Fragment The Triumph of Loyalty, W 311 ff.
(1800):
Oh! there is joy above the name.of Pleasure,
Deep self-possession, an intense Repose.
No other than as Eastern Sages feign
The Giod, who floats upon a Lotos Leaf,
Dreams for a thousand ages; then awaking,
Creates a worid, and smiling at the bubble,
Relapses into bliss.
(Complete Poetical Works ed. E. H. Coleridge II1071.)
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haltspunkte bieten jedoch die eben zitierte Äußerung von De
Ouincey, ferner einige nicht zur Veröffentlichung bestimmte No-
tizen in Briefen und Tagebüchern und endlich die Dichtungen.
Danach würde er mehr noch als das Prunkvolle, Fremdartige
und Wollüstige den Zustand des ruhigen beseeligenden Glücks
gesucht haben, jenes Gefühl des überirdischen Wohlbehagens
und Dahinschwebens, wo der Körper seine Schwere verliert.
Unter der Einwirkung solcher Visionen preist er von 1797 ab
immer wieder den Zustand des indischen Vischnu. Wie dieser,
möchte er „entlang einem unendlichen Ozean umhertreiben, edn-
gewiegt in ein Lotus blatt und alle Millionen Jahre einmal für
ein paar Minuten aufwachen, nur um zu wissen, daß er wieder
eine Million Jahre zu schlafen habe“.43 Die Anspielungen auf
den indischen Vischnu, vor allem aber der wunderbare orien-
talische Palast in dem Versfragment Khubla Khan, das sich ein-
gestandenermaßen auf einer Opiumvision aufbaut, weisen darauf
hin, daß in den Visionen von Coleridge das orientalische Ele-
ment eine bedeutsame Rolle spielte. Wenn er trotz dieses zweiten
Lebens in der Entwicklung des Exotismus keine entscheidende
Stellung einnimmt, so liegt das einmal daran, daß seine exo-
tistische Veranlagung sich in so einseitiger Weise auf das Gebiet
der Opiumvisionen beschränkt, zum andern daran, daß er seinen
Erfahrungen in seinen Werken keinen freien Spielraum gewährt.
Daß er wie kein zweiter innerhalb der englischen Literatur dazu
berufen gewesen wäre, lehren die wenigen erhaltenen Verse von
Khubla Khan (1798).' Aber wie er seinen wunderbaren Reich-
tum von Beobachtungen, die sich bei ihm unter der Einwirkung
des Opiums einzustellen pflegten, nur zum allerkleinsten Teile
in seinen Dichtungen verwertet hat, so auch seine gewiß groß-
42 Brief an Thelwall vom 16. Oktober 179.7. Vgl. auch' die fast wörtlich
damit übereinstimmende Rede der Alhadra im Osorio V, 1, 39ff. (1797), ebenso'
eine Stelle in dem dramatischen Fragment The Triumph of Loyalty, W 311 ff.
(1800):
Oh! there is joy above the name.of Pleasure,
Deep self-possession, an intense Repose.
No other than as Eastern Sages feign
The Giod, who floats upon a Lotos Leaf,
Dreams for a thousand ages; then awaking,
Creates a worid, and smiling at the bubble,
Relapses into bliss.
(Complete Poetical Works ed. E. H. Coleridge II1071.)