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Friedrich Brie:
artigen Visionen. Das Auseinanderhalten der beiden Leben geht
bei ihm so weit, daß er während der Zeit, wo er dem Genüsse
des Giftes frönt, sich in verstärktem Maße der Metaphysik und
den Wissenschaften zuwendet.
Mannigfaltiger als bei Coleridge äußert sich die exotistische
Veranlagung bei seinem Freunde Thomas De Ouincey (1785 bis
1859), den im übrigen ähnlich wie Coleridge die wissenschaft-
lichen, politischen und religiösen Neigungen zu stark mit der
Gegenwart verbinden, als daß seine exot.istischen Anlagen sich
frei entfalten könnten. Wie bei Coleridge, äußert sich auch hei
ihm der Exotismus in erster Linie in dem: Hang zum Opium-
genuß, zu dem nach seinen eigenen Worten ihn der Schmerz und
der ennui trieben.43 Wie Coleridge, baut er sich jahrzehntelang
durch Opiumvisionen ein zweites Leben neben dem ersten auf.
Welche Emotionen er im Opium suchte, ist auch bei ihm schwer
zu sagen, da er mehr von den Schrecken des Opiums als von
den Freuden berichtet. Bei ihm zeigt sich bereits aufs deut-
lichste die den Exotisten eigentümliche Verquickung von nar-
kotischen Zuständen mit orientalischen und antiken Visionen,
über die wir oben genauer gesprochen haben. Obwohl De Ouin-
cey sich ebensowenig wie Coleridge in der Öffentlichkeit je zum
Fürsprecher dieser Welten gemacht hat, müssen wir danach an-
nehmen, daß bestimmte Seiten der orientalischen und der an-
tiken Kultur für ihn eine ungewöhnliche Anziehungskraft be-
sessen haben müssen, allerdings keine so starke, daß sich daraus
für ihn ein Konflikt mit der Gegenwart ergeben hätte. Das Ver-
langen der Sinne ist nicht so heftig, daß es auf die Dauer die
bürgerlichen Instinkte in den Hintergrund drängen oder gar aus
schalten könnte. Alles Heidnische bleibt ihm ebenso fremd wie
Coleridge. An Antike und Renaissance spricht ihn nur die
Kunst und die Pracht an, aber nicht die heidnische Sinnenlust;
die bunte Götterwelt des Olymp war in seinen Augen nichts
weiter als eine fatsche Religion. Dennoch stehen in den Con-
fessions of an Opium-Eater (1821) unter den Freuden des Opiums
großartige Visionsbilder antiker Architektur an hervorragender
Stelle. Mit schwungvollen Worten preist er das Opium wegen
dieser Gabe: „Du baust aus dem Schoß der Dunkelheit, aus den
43 Works ed. Massen V 210: in a certain ruby-ooloured elixir there lurked
a devime power to chase away the genius of pain, or s-econdly, of ennui (which
it is, far more than pain, that saddens onr human life).
Friedrich Brie:
artigen Visionen. Das Auseinanderhalten der beiden Leben geht
bei ihm so weit, daß er während der Zeit, wo er dem Genüsse
des Giftes frönt, sich in verstärktem Maße der Metaphysik und
den Wissenschaften zuwendet.
Mannigfaltiger als bei Coleridge äußert sich die exotistische
Veranlagung bei seinem Freunde Thomas De Ouincey (1785 bis
1859), den im übrigen ähnlich wie Coleridge die wissenschaft-
lichen, politischen und religiösen Neigungen zu stark mit der
Gegenwart verbinden, als daß seine exot.istischen Anlagen sich
frei entfalten könnten. Wie bei Coleridge, äußert sich auch hei
ihm der Exotismus in erster Linie in dem: Hang zum Opium-
genuß, zu dem nach seinen eigenen Worten ihn der Schmerz und
der ennui trieben.43 Wie Coleridge, baut er sich jahrzehntelang
durch Opiumvisionen ein zweites Leben neben dem ersten auf.
Welche Emotionen er im Opium suchte, ist auch bei ihm schwer
zu sagen, da er mehr von den Schrecken des Opiums als von
den Freuden berichtet. Bei ihm zeigt sich bereits aufs deut-
lichste die den Exotisten eigentümliche Verquickung von nar-
kotischen Zuständen mit orientalischen und antiken Visionen,
über die wir oben genauer gesprochen haben. Obwohl De Ouin-
cey sich ebensowenig wie Coleridge in der Öffentlichkeit je zum
Fürsprecher dieser Welten gemacht hat, müssen wir danach an-
nehmen, daß bestimmte Seiten der orientalischen und der an-
tiken Kultur für ihn eine ungewöhnliche Anziehungskraft be-
sessen haben müssen, allerdings keine so starke, daß sich daraus
für ihn ein Konflikt mit der Gegenwart ergeben hätte. Das Ver-
langen der Sinne ist nicht so heftig, daß es auf die Dauer die
bürgerlichen Instinkte in den Hintergrund drängen oder gar aus
schalten könnte. Alles Heidnische bleibt ihm ebenso fremd wie
Coleridge. An Antike und Renaissance spricht ihn nur die
Kunst und die Pracht an, aber nicht die heidnische Sinnenlust;
die bunte Götterwelt des Olymp war in seinen Augen nichts
weiter als eine fatsche Religion. Dennoch stehen in den Con-
fessions of an Opium-Eater (1821) unter den Freuden des Opiums
großartige Visionsbilder antiker Architektur an hervorragender
Stelle. Mit schwungvollen Worten preist er das Opium wegen
dieser Gabe: „Du baust aus dem Schoß der Dunkelheit, aus den
43 Works ed. Massen V 210: in a certain ruby-ooloured elixir there lurked
a devime power to chase away the genius of pain, or s-econdly, of ennui (which
it is, far more than pain, that saddens onr human life).