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Brie, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 3. Abhandlung): Exotismus der Sinne: eine Studie zur Psychologie der Romantik — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37770#0035
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'Exotismüs der Sinne.

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Maße bei Heinse und den französischen Exotisten finden. Seine
Begeisterung für das Studium der Antike bewegt ihn zu. dem
Ausspruch, daß man sich ihrem Einfluß hingeben solle „wie ein
Kind seinen Eltern“. „Laß sie dir wieder Gottheit sein; streife
jeden erbärmlichen Zweifel an ihrer überirdischen Vollkommen-
heit ab; zittere davor, ihren himmlischen Glanz zu schmähen,
auf daß du nicht in die Hölle Egbert Hemskerks geworfen
werdest, wo nichts ist als das Gesichterschneiden plappernder
Affen.“52 Von einer Nymphe Correggios bemerkt er, daß sie
„aus jedem Gliede, jeder Bewegung, die klassische Eleganz und
Verfeinerung des alten Griechenlands wie ein wertvolles Parfüm
ausstrahle“.53 Von der Hinneigung der Exotisten zum Geheim-
nisvollen, Grotesken und Schaurigen scheint er gänzlich frei zu
sein, nur daß er sich schon vor Gautier, Banville und Swinburne
begeistert an der antiken Darstellung des ruhenden Hermaphro-
ditus und den inexplicable, bewilchering attractions of Ins deli-
cate limbs.bi Ebensowenig entgeht seinem Blicke die Schönheit
der Venus Kallipyga.55 Auf derselben Bahn bewegt sich seine
Begeisterung für die Renaissance, die in der Bewunderung von
Correggio und dessen Talent der combination of Luxuri,es, dessen
suavity, amorous languor and Serpentine grace gipfelt.56
Der einzige von dieser Generation angelsächsischer Exo-
tisten, der sich völlig vom Bürgerlichen loslößt und sich in
Kampfstellung gegen das Bürgertum befindet, ist aber erst der
Amerikaner Edgar Allan Poe (1809 -1849). Er hat {Politik, Demo-
kratie und Wissenschaft, besonders aber Metaphysik, geradezu
gehaßt und nur die eigentümlichen Bildungsverhältnisse Ameri-
kas haben bewirkt, daß er in seinen Schriften seinen exotistischen
Neigungen nicht denselben Spielraum gönnte wie Gautier, Flau-
bert oder Baudelaire. Mit ihm schließt die Reihe der angel-
sächsischen Exotisten zunächst ab. Ein Opfer des ennui, teilt
er mit seinen Vorgängern den Wunsch, die umgebende Wirklich-
keit zu vergessen. Das Mittel ist auch für ihn der Traum, die
Vision und die Ekstase. Poe hat von sich selbst gesagt, daß
sein ganzes Leben nur ein Träumen gewesen sei und dieses
52 London Magazine, November 1822. Vgl. RICHTER, a. a. 0., S. 279.
53 London Magazine, February 1820 (HAZLITT, S. 59).
54 A. a,. 0., S. 290.
55 A. a. 0., S. 294.
56 Vor allem HAZLITT, a. a_ 0., S. 174, 198.

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