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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0040
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E. Frh. v. Künssberg:

lieferung weiter gespielt, vielleicht, weil sie sich besonders dem
kindlichen Bedürfnis angepaßt haben; sie sind heute keine be-
wußte Nachahmung mehr. Als Beispiel können da die Lauf- und
Fangspiele mit einem Freiort oder Asyl dienen.
§ 57. Selbstverständlich muß man vorsichtig sein und darf auf der
Suche nach Altertümern nicht einfach alles als Überbleibsel an-
sehen. Wer Pilze sucht, darf nicht alle mitnehmen. Ebenso selbst-
verständlich muß man sich hüten, in Fällen, wo man Parallelen
in Rechtsbrauch und Kinderspiel findet, gleich eine Abhängigkeit
festzustellen, gleich ein Rechtsaltertum finden zu wollen; ist es
doch eine allgemeine Regel vergleichender Forschung, daß zwei
ähnliche Dinge nicht unbedingt voneinander abstammen müssen,
sondern auch eine gemeinsame Wurzel haben oder unabhängig
voneinander entstanden sein können. Solche Parallelen können
aber trotzdem sehr wertvoll sein zur Aufklärung. Der erschwerte
§ 58. Wurf ist z. B. im Ritus des älteren Rechtes ganz geläufig, wann1
ainer in ainem satfeld kennen hat, so soll er auf bloßem fueß stehen,
den ainen fueß in die hand nemben und also fer er mit ainem ai
wirft, als fer sollen seine kennen frei gehen. Wenn wir nun auch im
Kinderspiel in vielen Fällen Erschwerungen des Wurfes finden,
das nach rückwärts werfen, auf einem Bein stehend werfen usw.,
so wäre es zum mindesten höchst unvorsichtig und voreilig, da
eine Abhängigkeit von diesen Rechtsbräuchen feststellen zu wollen.
§59. Oder ein anderes Beispiel: Allbekannt ist das Fingerdeuten
in der Kindersitte. Wohl jedem Kinde werden einmal die Finger-
chen, die es mit großer Neugierde und Freude als vielseitiges Spiel-
zeug entdeckt, erklärt. „Das ist der Daumen, der schüttelt die
Pflaumen usw.“2 *.
Dazu gibts eine Parallele im Rechtsleben. Bei der Eides-
verwarnung wurde dem Schwörenden wohl in naiver Weise erklärt,
die emporgestreckten Schwurfinger hätten diese oder jene Bedeu-

1 1671 Raschenberg (Salzb.) ÖW. I, 98 und sonst öfter. Vgl. Grimm,
RA.4,1, 78ff. Grimm, Gesch. d. Sprache4, 41. v. Gierke, Humorim Recht2,60.
Fehr, Frau und Kinder in den Weistümern, S. 11, Anm. 6. v. Künssberg,
ZRG. 46 (1912), 567. Das Axtwerfen im Märchen: Bolte-Polivka, Anmer-
kungen zu Grimms Kinder- und Hausmärchen 3, 310.
2 Zu den verschiedenen Beispielen in den deutschen Spielbüchern (oben
S. 34f.) vgl. das Gatalanische bei Liebrecht, Zur Volkskunde, 1879, S. 390.
 
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