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F. *Boll:
Forschungstrieb in alle Weiten der Welt und zu jeder Art von anders
redenden Menschen zieht. Auch diese Vertreter der ιστορία, das heißt
der Länder- und Völkerkunde und der Geschichte, haben gewiß man-
chen Vorgänger im Orient gehabt, mochte er auch nur auf Befehl
seines Königs fremde Küsten erforschen; aber im ganzen bleibt
es doch wohl wahr, daß erst mit den Griechen das Bedürfnis nach
objektiver Kenntnisnahme der Welt beginnt, indes alle anderen
Völker im wesentlichen nur „für ihre eigenen Königsburgen, Tempel
und Götter“ Augen hatten.
Ähnlich steht es nun auch mit dem Typus des Philosophen,
Naturforschers, Mathematikers. Nur die Phantasie, nicht die
geschichtliche Darstellung kann sich vermessen, von dem inneren
Leben der Menschen sich ein Bild zu schaffen, die auf den Stufen-
türmen Babylons nach den Sternen spähten und in den ägyptischen
Tempeln in seltsamen Symbolen vom Wesen und Werden der
Welt träumten. Erst bei den Griechen bekommt die Menschheit
Zungen, davon, wie sie ihr eigenes Tun begreift, zur Nachwelt zu
sprechen.
An der gleichen ionischen Küste, wo einst die freie Menschlich-
keit Homers sich ihr Weltbild gestaltet hatte, beginnt jene dicht-
gedrängte Beihe von Denkern und Forschern, deren Lebensinhalt
so wenig durch ein praktisches Interesse wie durch den Willen
eines Herrschers oder durch die religiöse Überlieferung bestimmt
wird. Von einem dieser Männer zum anderen treten immer neue
wesentliche Züge hervor. Ich hebe nur ein paar von den bezeich-
nendsten Gestalten heraus: nicht um den Inhalt ihrer wissenschaft-
lichen Lehren handelt es sich hier, vielmehr um die Art, in der sie
nach der echten Überlieferung oder auch nach der Legende, die
unablässig an ihnen formt, den neuen Menschentypus verkörpern.
Schon den ältesten von allen, Thaies von Milet, umweht früh ein
Hauch von Fremdheit, vonDistanz gegenüber demTreibendesTages,
der dem Philosophen und Gelehrten immer geblieben ist. Die Fama
ist um so geschäftiger, schon diesen frühesten griechischen Philo-
sophen und dann eine Reihe seiner späten und spätesten Nach-
folger mit dem Nimbus des Wundermannes zu umgeben, der über-
menschliche Einsicht und dadurch Macht über die Natur besitzt
und es nur verschmäht, sich ihrer zum eigenen Vorteil zu bedienen.
Ein Jahrhundert später findet der heroische Typus des Er-
kennenden seine mächtigste Verkörperung in der Aristokraten-
gestalt des Heraklit, aus dem Gescblechte der Priesterkönige von
F. *Boll:
Forschungstrieb in alle Weiten der Welt und zu jeder Art von anders
redenden Menschen zieht. Auch diese Vertreter der ιστορία, das heißt
der Länder- und Völkerkunde und der Geschichte, haben gewiß man-
chen Vorgänger im Orient gehabt, mochte er auch nur auf Befehl
seines Königs fremde Küsten erforschen; aber im ganzen bleibt
es doch wohl wahr, daß erst mit den Griechen das Bedürfnis nach
objektiver Kenntnisnahme der Welt beginnt, indes alle anderen
Völker im wesentlichen nur „für ihre eigenen Königsburgen, Tempel
und Götter“ Augen hatten.
Ähnlich steht es nun auch mit dem Typus des Philosophen,
Naturforschers, Mathematikers. Nur die Phantasie, nicht die
geschichtliche Darstellung kann sich vermessen, von dem inneren
Leben der Menschen sich ein Bild zu schaffen, die auf den Stufen-
türmen Babylons nach den Sternen spähten und in den ägyptischen
Tempeln in seltsamen Symbolen vom Wesen und Werden der
Welt träumten. Erst bei den Griechen bekommt die Menschheit
Zungen, davon, wie sie ihr eigenes Tun begreift, zur Nachwelt zu
sprechen.
An der gleichen ionischen Küste, wo einst die freie Menschlich-
keit Homers sich ihr Weltbild gestaltet hatte, beginnt jene dicht-
gedrängte Beihe von Denkern und Forschern, deren Lebensinhalt
so wenig durch ein praktisches Interesse wie durch den Willen
eines Herrschers oder durch die religiöse Überlieferung bestimmt
wird. Von einem dieser Männer zum anderen treten immer neue
wesentliche Züge hervor. Ich hebe nur ein paar von den bezeich-
nendsten Gestalten heraus: nicht um den Inhalt ihrer wissenschaft-
lichen Lehren handelt es sich hier, vielmehr um die Art, in der sie
nach der echten Überlieferung oder auch nach der Legende, die
unablässig an ihnen formt, den neuen Menschentypus verkörpern.
Schon den ältesten von allen, Thaies von Milet, umweht früh ein
Hauch von Fremdheit, vonDistanz gegenüber demTreibendesTages,
der dem Philosophen und Gelehrten immer geblieben ist. Die Fama
ist um so geschäftiger, schon diesen frühesten griechischen Philo-
sophen und dann eine Reihe seiner späten und spätesten Nach-
folger mit dem Nimbus des Wundermannes zu umgeben, der über-
menschliche Einsicht und dadurch Macht über die Natur besitzt
und es nur verschmäht, sich ihrer zum eigenen Vorteil zu bedienen.
Ein Jahrhundert später findet der heroische Typus des Er-
kennenden seine mächtigste Verkörperung in der Aristokraten-
gestalt des Heraklit, aus dem Gescblechte der Priesterkönige von