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Boll, Franz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 8. Abhandlung): Vita contemplativa: Festrede zum zehnjährigen Stiftungsfeste der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Stiftung Heinrich Lanz — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37775#0010
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10

F, Boll:

Ich kann die Reihe nicht weiter verfolgen, auch nur bis her-
unter zu Archimedes, dem größten griechischen Mathematiker, der
in die geometrischen Figuren vertieft, die er in den Sand gezeichnet
hat, die Einnahme seiner Vaterstadt überhört und dem die Legende
jenes souveräne Wort der Abwehr des forschenden Lebens gegen
die rohe Gewalt in den Mund legt, jenes Wort an den eindringenden
römischen Soldaten: Verwirre mir meine Kreise nicht. Nur eines
sei noch erwähnt: die Verkörperung des wissenschaftlichen Organi-
sators in Platon und Aristoteles und in einigen Gestalten der
Gelehrtenschule von Alexandria. Aristoteles hat in der kurzen Zeit
seiner Schulleitung als ein wahrer Fürst der Wissenschaft an die
große Zahl seiner Schüler Aufgabe um Aufgabe verteilt, die Samm-
lung der Staatsverfassungen der Griechen und Barbaren, der
Sprichwörter oder der Urkunden der Chronologie so gut wie die
Probleme der Physik und Botanik oder die Geschichte der Philo-
sophie und Mathematik, Astronomie und Medizin. Nach ihm und
in Wahrheit gerade durch ihn und Platon, die großen Synthetiker
oder Synoptiker, wie die Alten schöner sagen, ist die Spezialisierung
der Wissenschaft unvermeidlich geworden und hat Mathematik
und Naturforschung wie die Philologie in Alexandria erst zu voller
Blüte geführt.
Wie stellt sich nun aber das griechische Volk zu diesem neuen
Menschentypus, der aus ihm hervorgegangen ist, ein werktätig
schaffendes und politisch unaufhörlich tief erregtes Volk zu denen,
die ihm und sich selbst oft nur als θεωροί, als Zuschauer erscheinen
vor der großen Bühne oder bei den olympischen Spielen des Lebens,
wie es Pythagoras einmal bezeichnet haben soll: die einen kommen
hin, um ihre Kraft im Wettkampf zu zeigen, die anderen, um auf
dem großen Jahrmarkt zu feilschen und sich zu bereichern, die
dritten aber kommen nur, um zu schauen. Sie gelten ihm als die
vornehmsten und freiesten. Man würde sehr irren, wenn man
meinte, dieses Urteil sei von vornherein und überall auch das des
durchschnittlichen Griechen, selbst des gebildeten, gewesen. Man
muß sich erinnern, was Solon in jenem merkwürdigen Gespräch
mit König Krösus bei Herodot als das höchste Glück bezeichnet,
das ein Mensch erreichen kann: in mäßigem Wohlstand in einem
Staate leben, der gute Zeit hat, treffliche Söhne und Enkel um sich
aufwachsen sehen und keinen verlieren müssen, in den nationalen
Wettspielen gekrönt werden und zuletzt in einer siegreichen Schlacht
 
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