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Boll, Franz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 8. Abhandlung): Vita contemplativa: Festrede zum zehnjährigen Stiftungsfeste der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Stiftung Heinrich Lanz — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37775#0013
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Vita Contemplativa.

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Philosophen und Gelehrten, der nicht lange die frische Luft zu
ertragen schien, allzu unvorteilhaft von dem, was er, der tägliche
Besucher der Ringschulen, bewunderte und liebte. Ihm erscheinen
diese Vertreter einer besonderen Menschenart leicht als seltsame
halb freiwillige Hungerleider, als hochmütige Einsiedler, die ihr
Äußeres prahlerisch verwahrlosen lassen. Ein andermal ärgert ihn
wieder die absonderliche Tracht und wohl auch einmal eine Üppig-
keit des Lebens, die in grellem Widerspruch zu ihrer eigenen Lehre
steht. Für einen nicht geringen Teil selbst des athenischen Volkes
sind die ,,Weisheitsfreunde“ gewiß immer müßige Schwätzer und
Grübler geblieben, deren leidenschaftliche Debatten man um so
weniger verstand, je nichtiger die Gegenstände ihrer Studien
erschienen. Am Mathematiker fällt es auf, wenn er einmal etwas
Menschenverständiges und Brauchbares tut, etwa eine Wasser-
leitung anlegt, wie Meton von Athen. Der sizilische Arzt, den der
Komiker Epikrates sich in Platons Garten eindrängen läßt, findet
das geschäftige Bemühen der Schüler und des Meisters, dem Kürbis
seine Stelle in der natürlichen Pflanzenreihe anzuweisen, nicht
minder albern als eine frühere Generation jene freilich zum Teil
grotesken biologischen Probleme, die Sokrates in den Wolken des
Aristophanes seinen Schülern vorlegt. Mit dem unaufhörlichen
Gezänk der Bücherwürmer von Alexandria um grammatische
Formen geht die hellenistische Zeit, die sonst wohl gelernt hat, auf
ihre geistig bedeutenden Männer stolz zu sein, nicht freundlicher
um. Nur die Landkarte, die Geographie, begrüßt auch der athenische
Philister Strepsiades bei Sokrates sofort als einleuchtend nützlich
und ‘populär’, wie er sich ausdrückt.
Der ganze Ernst des Gegensatzes zwischen dem, was sich
gewöhnlich Leben nennt, und dem in einer anderen Welt lebenden
Forscher tritt am stärksten in einigen Dialogen Platons entgegen.
Im Gorgias klingt der leidenschaftliche Angriff, den der Verfechter
des Übermenschentums, Kallikles, auf Sokrates unternimmt, in
eine nachdrückliche Warnung vor der dem Leben entfremdenden
Philosophie und Wissenschaft aus, wie sie ganz gewiß Platon selbst
von seinen Standesgenossen in den Jahren der Entscheidung oft
genug vernehmen mußte. Isokrates, der Rhetor, der gleich seinen
Vorgängern, den Sophisten des 5. Jahrhunderts, selber den
Anspruch erhob, ohne wissenschaftliche Vertiefung eine vollkom-
mene Menschenbildung zu geben, hat ähnliches in seiner blässeren
 
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