Zu Luthers Yorlesungstätigkeit.
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weniger ist anzunehmen, daß die kleinen, sich klar als Diktat
einer Stunde abhebenden Abschnitte jeweilen die ganze „Vor-
lesung“ oder praelectio gebildet haben. Luther hat damals sicher
den Studenten weit mehr geboten als er nachschreiben ließ. Oder
hat der Zuhörer willkürlich nachgeschrieben und das Diktat nur
dort festgehalten, wo es ihm behagte ? Nur dann würde er den
Tadel ganz verdienen, den Holl in der Ztschr. für Kirchengesch.,
38. Jahrg., N. F. 1 (1919), S. 23 ihm ausspricht. Mir scheint das
ganz ausgeschlossen; die Stundenabschnitte sind im ganzen zu
gleichmäßig. Lücken trägt der Schreiber nach und bringt einmal
sogar einen Absatz zweimal; er stellt sich überhaupt als beschränkt,
aber fleißig dar. Es ist nicht wohl vorstellbar, daß er regelmäßig bei
gewissen Abschnitten sofort entschlossen die Feder niedergelegt
und nicht mehr mitgeschrieben habe. Es handelt sich also um
eine Auswahl, die der Diktierende, nicht der Nachschreibende
getroffen hat. Sie fällt somit Luther zur Last. Freilich hätte der
Student auch von dem frei Vorgetragenen zu Papier bringen können.
So meint Meissinger S. 18, daß bei der Römerbriefnachschrift
„manche erweiternde Zusätze, die Luther frei sprach und offenbar
für die Nachschrift nicht bestimmte, nur der Eifer der Zuhörer
festgehalten“ habe. Damit war aber die Sauberkeit des Heftes
gefährdet. Wie schwer auch Derartiges war, sieht man an den
Rörerschen Nachschriften zur Genüge. Vieles blieb also unge-
schrieben, was Luther vortrug. Dadurch wird freilich der Wert
solcher Kolleghefte stark eingeschränkt. Gerade das Beste, Persön-
lichste kann und wird weggefallen sein. Da wir das Original der
Römerbriefvorlesung neben jenen Nachschriften haben, können
wir mit Meissinger a. a. 0. feststellen, daß das Kollegheft dem-
gegenüber sich wie „ein dürftiger Auszug“ ausnimmt, der oben-
drein „ein durchgehendes Prinzip nicht erkennen“ läßt. Die Fülle
der zeitgeschichtlich wertvollen Bemerkungen fehlt ganz. Der
große Abstand der Galaterbrief- von der Römerbriefvorlesung hat
also nicht sowohl in dem Unwert des Nachschreibers seinen Grund
als darin, daß die erste ein Vorlesungsdiktat, dies die Luthersehe
Vorlage ist. In ihr aber haben wir dann zugleich seine Präparation
zu sehen. So hat Luther in dieser ersten Zeit gearbeitet: er hat
auch für sich selbst den bei Grunenberg im Augustinerkloster
gedruckten Text benutzt, ihn mit Glossen versehen und dazu die
Scholien gefügt. Man vergleiche die faksimilierte Probeseite aus
der Glosse des Römerbriefs, die Ficker (nach S. 161) seiner Aus-
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weniger ist anzunehmen, daß die kleinen, sich klar als Diktat
einer Stunde abhebenden Abschnitte jeweilen die ganze „Vor-
lesung“ oder praelectio gebildet haben. Luther hat damals sicher
den Studenten weit mehr geboten als er nachschreiben ließ. Oder
hat der Zuhörer willkürlich nachgeschrieben und das Diktat nur
dort festgehalten, wo es ihm behagte ? Nur dann würde er den
Tadel ganz verdienen, den Holl in der Ztschr. für Kirchengesch.,
38. Jahrg., N. F. 1 (1919), S. 23 ihm ausspricht. Mir scheint das
ganz ausgeschlossen; die Stundenabschnitte sind im ganzen zu
gleichmäßig. Lücken trägt der Schreiber nach und bringt einmal
sogar einen Absatz zweimal; er stellt sich überhaupt als beschränkt,
aber fleißig dar. Es ist nicht wohl vorstellbar, daß er regelmäßig bei
gewissen Abschnitten sofort entschlossen die Feder niedergelegt
und nicht mehr mitgeschrieben habe. Es handelt sich also um
eine Auswahl, die der Diktierende, nicht der Nachschreibende
getroffen hat. Sie fällt somit Luther zur Last. Freilich hätte der
Student auch von dem frei Vorgetragenen zu Papier bringen können.
So meint Meissinger S. 18, daß bei der Römerbriefnachschrift
„manche erweiternde Zusätze, die Luther frei sprach und offenbar
für die Nachschrift nicht bestimmte, nur der Eifer der Zuhörer
festgehalten“ habe. Damit war aber die Sauberkeit des Heftes
gefährdet. Wie schwer auch Derartiges war, sieht man an den
Rörerschen Nachschriften zur Genüge. Vieles blieb also unge-
schrieben, was Luther vortrug. Dadurch wird freilich der Wert
solcher Kolleghefte stark eingeschränkt. Gerade das Beste, Persön-
lichste kann und wird weggefallen sein. Da wir das Original der
Römerbriefvorlesung neben jenen Nachschriften haben, können
wir mit Meissinger a. a. 0. feststellen, daß das Kollegheft dem-
gegenüber sich wie „ein dürftiger Auszug“ ausnimmt, der oben-
drein „ein durchgehendes Prinzip nicht erkennen“ läßt. Die Fülle
der zeitgeschichtlich wertvollen Bemerkungen fehlt ganz. Der
große Abstand der Galaterbrief- von der Römerbriefvorlesung hat
also nicht sowohl in dem Unwert des Nachschreibers seinen Grund
als darin, daß die erste ein Vorlesungsdiktat, dies die Luthersehe
Vorlage ist. In ihr aber haben wir dann zugleich seine Präparation
zu sehen. So hat Luther in dieser ersten Zeit gearbeitet: er hat
auch für sich selbst den bei Grunenberg im Augustinerkloster
gedruckten Text benutzt, ihn mit Glossen versehen und dazu die
Scholien gefügt. Man vergleiche die faksimilierte Probeseite aus
der Glosse des Römerbriefs, die Ficker (nach S. 161) seiner Aus-