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H. v. Schubert und K. Meissinger:
dem Römerbriefkolleg von 1515/16 mit dem Original zu vergleichen,
um einen Begriff zu bekommen, wie viel auf dem Weg von Luthers
Studierstube in das Heft des Studenten verloren gegangen sein
muß. Das Kollegheft Luthers muß an Umfang dem Druck von
1519 viel näher gestanden haben als unserer Nachschrift.
Allein solange wir nichts besseres haben, tritt unsere Hand-
schrift an die Stelle des Originals. Wir haben ein brennendes
Interesse daran, mit ihrer Hilfe so nahe als nur irgend möglich an
das Lutheroriginal heranzukommen.
Zwar ist uns die Hoffnung, daß no.ch mehrere andere Zeugen
vorhanden seien und mit der Zeit ans Licht treten mögen, noch
nicht benommen. Schwerlich allerdings werden wir noch eine
Originalnachschrift in irgend einer der größeren Bibliotheken des
In- und Auslandes vermuten dürfen. Das auffallende Druckbild
des Textes müßte solche Exemplare seit der ,,Entdeckung“ und
der Reproduktion des Römerbriefkollegs verraten haben. Aber es
könnten noch Abschriften von Originalnachschriften vorhanden
sein, wie das Hebräerbriefkolleg von 1517 und das Gothaische
Exemplar des Römerbriefkollegs. Auch unter den Zeugen für
Melanchthons Römerbriefvorlesungen von 1520 und 1521 begegnen
wir solchen Abschriften von Nachschriften. Die Wittenberger
Kolleghefte waren über Nacht zu begehrten Dingen geworden. -
An alle Bibliotheken ergeht also hiermit die dringende Bitte,
ihre Bestände an der Hand unseres Initium und Explicit durch-
zuprüfen.
Ehe nicht endgültig feststeht, daß wir in unserem Exemplar
in der Tat alles besitzen, was von der Lutherschen Vorlesung auf
die Nachwelt gelangt ist, darf die reizvolle Arbeit der Vergleichung
mit dem Druck von 1519 nicht in Angriff genommen werden. -
Diese Vergleichung hätte neben der theologischen auch noch
eine wichtige philologische Aufgabe zu lösen.
Unverkennbar hat Melanchthon an dem Drucktext von 1519
einen bedeutenden Anteil. Dies kann niemandem entgehen, der
von der Römerbriefvorlesung mit ihren eigenwilligen charakter-
vollen Barbarismen herkommend den Galaterkommentar zur Hand
nimmt. Hier umgibt uns plötzlich die heitere Luft humanistischer
Eleganz. Die geistvolle Kraft des Lutherschen Stils ist geblieben,
aber die Ecken sind abgeschliffen, die Härten sind gemildert, in
der Wortwahl wie in der Konstruktion herrscht der neue Geschmack.
Ein gotisches Rathaus kann von einem Renaissancebau nicht
H. v. Schubert und K. Meissinger:
dem Römerbriefkolleg von 1515/16 mit dem Original zu vergleichen,
um einen Begriff zu bekommen, wie viel auf dem Weg von Luthers
Studierstube in das Heft des Studenten verloren gegangen sein
muß. Das Kollegheft Luthers muß an Umfang dem Druck von
1519 viel näher gestanden haben als unserer Nachschrift.
Allein solange wir nichts besseres haben, tritt unsere Hand-
schrift an die Stelle des Originals. Wir haben ein brennendes
Interesse daran, mit ihrer Hilfe so nahe als nur irgend möglich an
das Lutheroriginal heranzukommen.
Zwar ist uns die Hoffnung, daß no.ch mehrere andere Zeugen
vorhanden seien und mit der Zeit ans Licht treten mögen, noch
nicht benommen. Schwerlich allerdings werden wir noch eine
Originalnachschrift in irgend einer der größeren Bibliotheken des
In- und Auslandes vermuten dürfen. Das auffallende Druckbild
des Textes müßte solche Exemplare seit der ,,Entdeckung“ und
der Reproduktion des Römerbriefkollegs verraten haben. Aber es
könnten noch Abschriften von Originalnachschriften vorhanden
sein, wie das Hebräerbriefkolleg von 1517 und das Gothaische
Exemplar des Römerbriefkollegs. Auch unter den Zeugen für
Melanchthons Römerbriefvorlesungen von 1520 und 1521 begegnen
wir solchen Abschriften von Nachschriften. Die Wittenberger
Kolleghefte waren über Nacht zu begehrten Dingen geworden. -
An alle Bibliotheken ergeht also hiermit die dringende Bitte,
ihre Bestände an der Hand unseres Initium und Explicit durch-
zuprüfen.
Ehe nicht endgültig feststeht, daß wir in unserem Exemplar
in der Tat alles besitzen, was von der Lutherschen Vorlesung auf
die Nachwelt gelangt ist, darf die reizvolle Arbeit der Vergleichung
mit dem Druck von 1519 nicht in Angriff genommen werden. -
Diese Vergleichung hätte neben der theologischen auch noch
eine wichtige philologische Aufgabe zu lösen.
Unverkennbar hat Melanchthon an dem Drucktext von 1519
einen bedeutenden Anteil. Dies kann niemandem entgehen, der
von der Römerbriefvorlesung mit ihren eigenwilligen charakter-
vollen Barbarismen herkommend den Galaterkommentar zur Hand
nimmt. Hier umgibt uns plötzlich die heitere Luft humanistischer
Eleganz. Die geistvolle Kraft des Lutherschen Stils ist geblieben,
aber die Ecken sind abgeschliffen, die Härten sind gemildert, in
der Wortwahl wie in der Konstruktion herrscht der neue Geschmack.
Ein gotisches Rathaus kann von einem Renaissancebau nicht