Metadaten

Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0052
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
52

Gerhard Ritter:

rialis Okkams und Alberts würden also nur Spezialfälle dieser
suppositio pro significato non ultimato darstellen1, die ihrerseits nicht
als besondere Art, sondern als modus der übrigen Arten von Suppo-
sitionsbildung aufgefaßt zu werden scheint.
Das Wesentliche aus alledem ist die schon jetzt erkennbare
erkenntnistheoretische Stellung des Marsilius. Das Beispiel des
Petrus Hispanus zeigt, — was nicht immer beachtet wird — daß
man terministischer Logiker sein konnte, ohne deshalb die Frage
nach der realen Existenz der Allgemeinbegriffe zu verneinen: die
suppositio simplex bezeichnet dort die Vertretung der Gattung als
solcher im Urteil2, ohne Beziehung auf die in ihr enthaltenen Einzel-
arten bzw. Individuen, also — so ließ sich folgern — als für sich
bestehende res. Jedenfalls faßte Marsilius den Sachverhalt so auf.
Okkam dagegen und seine Schule, zu der wir nunmehr in diesen
Dingen auch Marsilius rechnen dürfen, benutzte den Begriffs-
apparat der terministischen Logik zu einer erkenntnistheoretischen
und metaphysischen Wendung: die Aussage von Allgemeinbegriffen
im Urteil ohne Beziehung auf die Summe der darin enthaltenen
Einzelvorstellungen war unmöglich, weil gleichzeitig die Erkenn-
barkeit und die reale Existenz solcher abgesonderter Allgemein-
begriffe geleugnet wurde. Die suppositio simplex bezeichnete schon
bei Okkam nicht mehr ein Verhältnis von Vorstellung (Element
des Urteils) und Bealität, sondern ein höchst künstliches Verhältnis
von Wort und rein mentaler Vorstellung. Marsilius von Inghen
und Buridan ließen sie ganz fallen. Erst mit dieser Umgestaltung,
nicht mit der Aufnahme der terministischen Logik an sich, wurde
die Wendung zum Nominalismus vollzogen.
Damit leitet unsere Betrachtung von selbst zur Erkenntnis-
theorie hinüber.

2. Erkenntnislehre.
Die allgemeinere Bedeutung der durch den „terministischen
Nominalismus“ Okkams begründeten Erkenntnislehre beruht auf
ihrer grundsätzlich neuen Bestimmung des Verhältnisses von
Glauben und Wissen, ihr spezifisch philosophisches Interesse auf der
1 terminus vocalis vel scriptus pro tali conceptu mentali supponens (ge-
meint ist die suppositio simplex des Okkam!) supponit pro suo significato non
ultimato; ideo. . . talem terminum sic supponentem reputo supponere materia-
liter. (1. c.)
2 Prantl II, 281, 284.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften