Metadaten
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Studien zur Spätscholastik. I.

171

der sich schließlich überall in diesen Dingen der Kirchenlehre
anpaßte, spielt das hier eine Rolle: de lege ordinata ist eben die
sakramentale Gnadenwirkung doch unentbehrlich. Ja dieser Vor-
gang erscheint hier sogar noch starrer, unpersönlicher als üblich.
Nach der gangbaren scholastischen Tradition war die Gnaden-
eingießung mit der Rechtfertigung dadurch verbunden, daß ihr
eine Tilgung der Sünde im Sinne der Nichtanrechnung der Schuld
Adams und Austreibung des erblichen Sündenhabitus voraus-
ging bzw. nachfolgte. Während nun Thomas und Skotus hierbei
auf das Moment der Vergebung besonderes Gewicht legten und die
gesamte Tradition das zeitliche und logische Verhältnis von infusio
gratiae und remissio peccatorum erörterte, geschieht dieser Dinge
in der Darstellung des Marsilius kaum Erwähnung. An Stelle der
Rechtfertigung hat sich das ganze Interesse ausschließlich auf die
sittliche Erneuerung des Menschen konzentriert. Der religiöse
Gedanke persönlicher Verschuldung und ihrer störenden Wirkung
auf das Verhältnis zu Gott ist hier wieder ganz zurückgetreten.
Im einzelnen wird die Eingießung der rechtfertigenden Gnade
(gratia gratum faciens) im Sakrament (und deren Wesen) mit den-
selben, wesentlich augustinischen Formeln geschildert, wie in der
Hochscholastik; sie ist ihrem Wesen nach identisch mit der Liebe
und vollendet demgemäß (außer der Erneuerung des Wullens) als
forma informans die fides informis, die ihrer Eingießung notwendig
vorausgeht1. Indem so das ganze Wesen des Menschen durch ihre
Einwirkung erneuert wird, wendet sich doch das Hauptinteresse
der Umgestaltung des Willens zu. Wir begreifen aus dem Zusammen-
hang der psychologischen Erörterung, welche Rolle ihr hier zufallen
wird: die sittlichen Antriebe so zu stärken, daß der W,7ille in der
Lage ist, dem ersten Anlauf der Versuchung nicht zu erliegen,
sondern seine sittliche Freiheit zur Geltung zu bringen. Die theo-
logisch entscheidende Frage ist, wo der Wirkungsbereich der natür-
lichen Kräfte und ihres sittlichen Antriebes aufhört, wo die Mit-
wirkung der Gnade anfängt, und wie dabei das Verhältnis von
göttlicher und menschlicher Wirksamkeit vorzustellen ist.
Schon die ältere Franziskanerschule hatte versucht, den
mirakelhaften Vorgang der Gnadeneingießung mit dem lebendigen
religiösen Erlebnis in engere Reziehung zu setzen, indem sie eine
psychologische Vorbereitung des Aktes durch das rege Bemühen

1 ibid. ar-t. 1,'no. 5, Bl. 290, a. Ferner concl. 2 u. art. 2.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften