Studien zur Spätscholastik. I.
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in der Willenslehre anläßlich des Begriffes der libertas finalis ordina-
tionis begegnet (s. o. S. 161). Aus augustinischen und aristotelischen
Motiven herstammend, spielt sie in der älteren Lehre von der Prä-
destination eine Rolle; für die Gnaden- und Yerdiensttheorie des
Marsilius dagegen scheidet sie zunächst als rein natürliche An-
gelegenheit aus1.
Wenn es nun außer dieser allgemeinen Mitwirkung Gottes noch
eine spezielle Gnadenwirkung geben soll, so muß sie einen speziellen
Zweck verfolgen. Sie erweckt in uns jene lockenden und warnenden
Stimmen, mit deren Hilfe auch vor Eingießung der charitas die
göttliche Liebe und Weisheit uns zum Guten antreibt, vom Bösen
fernzuhalten sucht. Es gibt eine ganze Summe von solchen mora-
lischen Antrieben des natürlichen Willens, die auch ohne eigent-
lich christliche Erleuchtung wirken. Alle Tugenden der heid-
nischen Philosophen beruhen auf ihnen. Aber Gott hat sie ihnen
und uns durch besondere Gnade ins Herz gelegt2. Sie sind der
Grund, wenn es dem Menschen hie und da auch ohne die recht-
fertigende Gnade gelingt, einzelne Gebote Gottes zu erfüllen. So
reicht denn die gratia gratis data hin, mit Hilfe der praktischen
Vernunft (ratione practica complexa) im alttestamentlichen Sinne
zur Liebe Gottes und des Nächsten zu gelangen3: Handlungen, die
eigentlich nur der echten, durch Eingießung gewirkten Liebe zu-
stehen.
Die Absicht der speziellen Gnade wird jetzt schon deutlicher.
Gregor von Rimini hatte in bewußter Erneuerung der strengen
augustinischen Lehre die okkamistische Selbsttätigkeit des natür-
lichen Menschen bei der Vorbereitung auf die Gnade verworfen
und den Satz aufgestellt, daß ohne besondere, von dem iufluxus
communis unterschiedene Gnade Gottes niemand eine gute Hand-
lung ausführen könne. Marsilius hat diese Lehre offenbar über-
nommen, wenn er auch den zitierten Satz nicht ausdrücklich
wiederholt4. Ohne spezielle Gnade ist nicht einmal die natürliche
1 1. II, qu. 18, art. 1, Bl. 295, b, 296, d. Gott wirkt auch in den irrigen
Denk- und sündigen Willensakten mit, jedoch nur per accidens, nicht de per se.
Ähnlich 1. I, qu. 20, art. 3, Bl. 84, d. — Vgl. ferner unten die Prädestinations-
lehre!
2 1. II, qu. 18, a. 1, Bl. 296, b; 1. I, qu. 20, a. 3, Bl. 85a—b.
3 Qu. 18, a. 2, concl. 2, Bl. 297, c.
4 Vgl. indessen Bl. 298, a: Existens extra gratiam nec aliquid mandatorum
\dei] sine gratia iuxta mentem precipientis poterit adimplere. Für Gregor vgl.:
1. II sent. dist. 19, qu. 1, a. 2, Bl. 96, d —97.
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in der Willenslehre anläßlich des Begriffes der libertas finalis ordina-
tionis begegnet (s. o. S. 161). Aus augustinischen und aristotelischen
Motiven herstammend, spielt sie in der älteren Lehre von der Prä-
destination eine Rolle; für die Gnaden- und Yerdiensttheorie des
Marsilius dagegen scheidet sie zunächst als rein natürliche An-
gelegenheit aus1.
Wenn es nun außer dieser allgemeinen Mitwirkung Gottes noch
eine spezielle Gnadenwirkung geben soll, so muß sie einen speziellen
Zweck verfolgen. Sie erweckt in uns jene lockenden und warnenden
Stimmen, mit deren Hilfe auch vor Eingießung der charitas die
göttliche Liebe und Weisheit uns zum Guten antreibt, vom Bösen
fernzuhalten sucht. Es gibt eine ganze Summe von solchen mora-
lischen Antrieben des natürlichen Willens, die auch ohne eigent-
lich christliche Erleuchtung wirken. Alle Tugenden der heid-
nischen Philosophen beruhen auf ihnen. Aber Gott hat sie ihnen
und uns durch besondere Gnade ins Herz gelegt2. Sie sind der
Grund, wenn es dem Menschen hie und da auch ohne die recht-
fertigende Gnade gelingt, einzelne Gebote Gottes zu erfüllen. So
reicht denn die gratia gratis data hin, mit Hilfe der praktischen
Vernunft (ratione practica complexa) im alttestamentlichen Sinne
zur Liebe Gottes und des Nächsten zu gelangen3: Handlungen, die
eigentlich nur der echten, durch Eingießung gewirkten Liebe zu-
stehen.
Die Absicht der speziellen Gnade wird jetzt schon deutlicher.
Gregor von Rimini hatte in bewußter Erneuerung der strengen
augustinischen Lehre die okkamistische Selbsttätigkeit des natür-
lichen Menschen bei der Vorbereitung auf die Gnade verworfen
und den Satz aufgestellt, daß ohne besondere, von dem iufluxus
communis unterschiedene Gnade Gottes niemand eine gute Hand-
lung ausführen könne. Marsilius hat diese Lehre offenbar über-
nommen, wenn er auch den zitierten Satz nicht ausdrücklich
wiederholt4. Ohne spezielle Gnade ist nicht einmal die natürliche
1 1. II, qu. 18, art. 1, Bl. 295, b, 296, d. Gott wirkt auch in den irrigen
Denk- und sündigen Willensakten mit, jedoch nur per accidens, nicht de per se.
Ähnlich 1. I, qu. 20, art. 3, Bl. 84, d. — Vgl. ferner unten die Prädestinations-
lehre!
2 1. II, qu. 18, a. 1, Bl. 296, b; 1. I, qu. 20, a. 3, Bl. 85a—b.
3 Qu. 18, a. 2, concl. 2, Bl. 297, c.
4 Vgl. indessen Bl. 298, a: Existens extra gratiam nec aliquid mandatorum
\dei] sine gratia iuxta mentem precipientis poterit adimplere. Für Gregor vgl.:
1. II sent. dist. 19, qu. 1, a. 2, Bl. 96, d —97.