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Curtius, Ludwig; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1923, 4. Abhandlung): Der Astragal des Sotades — Heidelberg, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.38045#0015
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Der Astragal des Sotades.

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keit des Themas nur unzulänglich sein konnten, hatte, um verstan-
den zu werden, die Vertrautheit des Publikums mit seinen Figuren
zur Voraussetzung. Die Erziehung dazu konnte nur Tradition der
Bühne, von der wir nichts wissen, oder bekannte Werke der zeit-
genössischen oder älteren Malerei leisten. Erhält nicht die Figur
des Sokrates erst ihren eigentlichen Witz, wenn der Dichter sich
darauf verlassen konnte, daß die von ihm geschaffene Situation im
Zuhörer sofort die Erinnerung an ein Bild wachrief, in dem das
Motiv gegeben und allgemein bekannt war, seine Anspielung also
sofort verstanden wurde, ein Bild, dessen Gott Sokrates so
ähnlich sah, wie unser Hephaest dem großen Goldschmied des
Gedankens ? Daß die Komposition unseres Astragals nicht für
dieses erfunden sein kann, dem es sich zwar herrlich anpaßt, aber
doch nur unter Verteilung des einheitlichen Bildes auf vier verschie-
dene Flächen, scheint mir nicht erst bewiesen werden zu müssen.
Also kommen wir von zwei Seiten her zur Forderung eines voraus-
zusetzenden berühmten Gemäldes natürlich in einem Heiligtum und
gerade aus der großen Zeit neuer malerischer Phantasie.
Der Astragal enthält eine kleine tote Stelle, in der vielleicht
die Abhängigkeit des Sotades von einem Vorbild der großen Kunst
sichtbar wird. Den weißen Fleck unter dem Pflanzenstengel der
einen schwebenden „Wolke“ hat der Zeichner bei Stackeiberg als
Epheublatt gegeben, was botanisch und stilistisch angesehen, gleich
unmöglich ist. Daß er keine Blüte darstellen kann, hat Buschor
a. a. 0. S. 25 richtig bemerkt, aber auch ein „lustiger Sommervogel“
läßt sich aus dem Miniaturgebilde nicht mit Sicherheit herauslesen.
Er war gewiß beabsichtigt. Der liebenswürdige Einfall, wie die
Lufttänzerin im Vorbeiziehen nach dem zierlichen Gaukler hascht,
stand in dem Vorbild des Vasenmalers. Aber dies in seinen kleineren
Maßstab zu übersetzen, mißlang.
Zuletzt die Frage nach dem Sinn des Ganzen, der merkwürdi-
gen Einheit von Gefäß und Bild. Wie kommt Hephaest als Schmuck
auf einen „Knöchelkasten“ ? Eine Reihe vorzüglicher Unter-
suchungen von Wolters, Bruckner, Deubner, Hauser, Fricken-
haus hat uns die methodische Einsicht vertieft, daß griechische
Kunst nichts weniger ist als Part pour Part. Ihre Wunderblume er-
wächst aus dem schweren Mutterboden religiöser Lebensformen und
verdorrt, wie dieser vertrocknet. Auch der Astragal des Sotades
kann nicht der Einfall eines witzigen Kopfes sein, er ist mehr
wie eine Künstlerschnurre, und die schwierige Verknüpfung der
 
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