Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts.
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daß diese nach der lex, die allein als göttliches Recht übrig bleibt,
nach der lex evangelica der Schrift, ihr Seelsorge- und Sakraments-
amt in Treue führen1. Das ist in Wahrheit das Programm des
modernen Staatskirchenrechts, wobei es von sekundärer Bedeutung
ist, daß hier der Monarch nur als der Beauftragte des souveränen
Volks auftritt. Das war damals freilich alles noch Theorie: als
Ludwig der Bayer auf seinem Romzug daraus versuchte Wirklich-
keit zu machen, Marsilius zum römischen Vikar ernennend, da
schlug es fehl. Aber es war doch eine Theorie, die einer konkreten
Kampflage entsprang und der allgemeinen Zeitrichtung zumal auf
französischem Boden so sehr entsprach, daß Theorie und Praxis
in stetig steigende Wechselwirkung traten. Das Wesentliche ist,
daß der Überzeugung von der alles Recht in sich bergenden ab-
soluten Machtfülle der römischen Kirche die Überzeugung von
einer über allem positiven Recht stehenden, aber dies Recht allein
erzeugenden absoluten Staatsmacht gegenübertrat, wie zur Zeit
Justinians. Die Linie geht von Marsilius bis zu den Männern der
Aufklärung. Jean Bodin im 16. Jahrhundert hat ein besonderes Ver-
dienst um die Souveränitätslehre, aber schon im 13. Jahrhundert,
in den „etablissements“ Ludwigs des Heiligen von Frankreich,
steht der allgemeine theoretische Satz: «Le roi n’a point de sou-
verain en choses temporelles2». Was das für die Praxis der Kirche
gegenüber bedeutete, zeigt der ganze Kampf Philipps des Schönen
im 14., zeigt die einseitige französische Staatskirchengesetzgebung
im 15., zeigt im 16. Jahrhundert das Buch des Juristen Grassaille
von 1538 über die königlichen Regalien, in denen er in 20 Sätzen
des Königs Rechte gegen die Kirche formulierte, zeigt endlich im
17. Jahrhundert der 1. Artikel der schneidigen Erklärung des Klerus
von 1682 gegen den Papst unter Ludwig dem XIV.3.
1 Def. pacis II, 27, nam. III, 2 (42 Programmpunkte „zu eines christ-
lichen Standes Besserung“ als Schlußfolgerungen aus dem Vorhergehenden),
ed. Sci-iolz S. 115ff.
2 Jellinek, Allg. Staatslehre2 (1905), S. 438ff., 430. Etabl. de S. Louis,
ed.Viollet II, 270: Li rois n’a point de souverain es choses temporiex. O. Gierke,
Joh. Althusius2 (1902), S. 151 f.
3 Die französischen Staatsgesetze von 1406/07 u. 1438 (pragm. Sankt,
v. Bourges) in den Ordonnances des rois de France IX, 180ff., XIII, 267ff.
(1755—1782), dazu die Fälschung der pragmatischen Sanktion Ludwigs IX.
J. Haller, Papsttum und Kirchenreform I, 197ff. (ohne den genaueren Un-
terbau der früheren französischen Rechtsentwicklung, so daß die Bedeutung
der englischen, ob. 39, A. 1, überstark hervortritt). Zu Grassaille vgl. Jellinek
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daß diese nach der lex, die allein als göttliches Recht übrig bleibt,
nach der lex evangelica der Schrift, ihr Seelsorge- und Sakraments-
amt in Treue führen1. Das ist in Wahrheit das Programm des
modernen Staatskirchenrechts, wobei es von sekundärer Bedeutung
ist, daß hier der Monarch nur als der Beauftragte des souveränen
Volks auftritt. Das war damals freilich alles noch Theorie: als
Ludwig der Bayer auf seinem Romzug daraus versuchte Wirklich-
keit zu machen, Marsilius zum römischen Vikar ernennend, da
schlug es fehl. Aber es war doch eine Theorie, die einer konkreten
Kampflage entsprang und der allgemeinen Zeitrichtung zumal auf
französischem Boden so sehr entsprach, daß Theorie und Praxis
in stetig steigende Wechselwirkung traten. Das Wesentliche ist,
daß der Überzeugung von der alles Recht in sich bergenden ab-
soluten Machtfülle der römischen Kirche die Überzeugung von
einer über allem positiven Recht stehenden, aber dies Recht allein
erzeugenden absoluten Staatsmacht gegenübertrat, wie zur Zeit
Justinians. Die Linie geht von Marsilius bis zu den Männern der
Aufklärung. Jean Bodin im 16. Jahrhundert hat ein besonderes Ver-
dienst um die Souveränitätslehre, aber schon im 13. Jahrhundert,
in den „etablissements“ Ludwigs des Heiligen von Frankreich,
steht der allgemeine theoretische Satz: «Le roi n’a point de sou-
verain en choses temporelles2». Was das für die Praxis der Kirche
gegenüber bedeutete, zeigt der ganze Kampf Philipps des Schönen
im 14., zeigt die einseitige französische Staatskirchengesetzgebung
im 15., zeigt im 16. Jahrhundert das Buch des Juristen Grassaille
von 1538 über die königlichen Regalien, in denen er in 20 Sätzen
des Königs Rechte gegen die Kirche formulierte, zeigt endlich im
17. Jahrhundert der 1. Artikel der schneidigen Erklärung des Klerus
von 1682 gegen den Papst unter Ludwig dem XIV.3.
1 Def. pacis II, 27, nam. III, 2 (42 Programmpunkte „zu eines christ-
lichen Standes Besserung“ als Schlußfolgerungen aus dem Vorhergehenden),
ed. Sci-iolz S. 115ff.
2 Jellinek, Allg. Staatslehre2 (1905), S. 438ff., 430. Etabl. de S. Louis,
ed.Viollet II, 270: Li rois n’a point de souverain es choses temporiex. O. Gierke,
Joh. Althusius2 (1902), S. 151 f.
3 Die französischen Staatsgesetze von 1406/07 u. 1438 (pragm. Sankt,
v. Bourges) in den Ordonnances des rois de France IX, 180ff., XIII, 267ff.
(1755—1782), dazu die Fälschung der pragmatischen Sanktion Ludwigs IX.
J. Haller, Papsttum und Kirchenreform I, 197ff. (ohne den genaueren Un-
terbau der früheren französischen Rechtsentwicklung, so daß die Bedeutung
der englischen, ob. 39, A. 1, überstark hervortritt). Zu Grassaille vgl. Jellinek