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Schubert, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 2. Abhandlung): Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38924#0063
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Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts.

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Man wußte, was man wollte. Gewiß, theoretisch genommen, zer-
stört die volle Toleranz ebenso den geschlossenen Konfessions-
charakter der katholischen wie der protestantischen Staaten. Prak-
tisch aber gestaltet sich die Sache so, daß dem Protestantismus
gegenüber, der auf Innerlichkeit sehr stark und auf straffen Zu-
sammenhalt sehr wenig angelegt ist, eine Kirche in natürlichem
Vorteil sein muß, die auf Beherrschung der Geister in aller Welt
einen exklusiven Anspruch macht und bei der Geltendmachung
dieses Anspruchs dem sie freilassenden Staat mit einem eigenen
übernationalen Recht aufwarten kann, ja ihrem Wesen nach muß.
Die Lage deutlicher zu erkennen, muß man das zweite Moment
entfalten, das aus dem ersten resultiert. Wir haben von einer vollen
Toleranz gesprochen. Es gibt ein verschiedenes Maß der Duldung:
man kann sie beschränken auf das bloße Ertragen von Menschen,
denen man doch ihren Glauben verbietet — das tat man im vor-
constantinischen römischen Reich und ließ selbst Ludwig XIV. bei
der Aufhebung des Ediktes von Nantes bestehen —; man kann
den Kultus erlauben in bestimmten Grenzen oder überhaupt, aber
unter Entziehung oder Schmälerung der bürgerlichen Rechte, als
da sind die Teilnahme am aktiven Staatsleben als Beamter oder
Offizier; man kann allen ohne Unterschied bei voller Pflege ihrer
religiösen Überzeugung auch das volle Bürgerrecht lassen. Ist dieser
letzte Punkt erreicht, was in Deutschland durch das vom Reiche
übernommene Bundesgesetz vom 3. Juli 1869 geschah, dann hat der
Staat sein Sonderverhältnis zu einer bestimmten Religion oder Kon-
fession aufgegeben und kann höchstens noch in der Form der Unter-
stützung besonderen Religionsgesellschaften als „öffentlichen Kor-
porationen“ seine Wertschätzung zeigen; die alte Verbindung von
Staat und Kirche, wie sie seit Constantins Privilegierung sich ausge-
bildet, hat dann aufgehört, die Trennung von Staat und Kirche
und damit die Säkularisation des Staates ist eingetreten1. Der
Gang der Geschichte hat diese Lösung langsam, nur an einer Stelle
rapid vollzogen, an der Stelle, da man, durch geschichtliche Hem-
mungen nicht belastet, auf frischem Boden eine neue Gesellschaft aus
dem Nichts schuf, in Nordamerika. Dieselben Dissenters, deren
1 Jellinek, Menschenrechte2, S. 40. A. O. Meyer, Toleranz, S. 256.
K. Rothenbücher, Die Trennung von St. u. K. (1908), S. 32ff., wo überhaupt
das Hauptmaterial zur ganzen Frage. Die königliche Charter darüber v. 1663
bei Z. Giacometti, Quellen zur Gesch. d. Trennung von St. u. K. (1926),
S. 688, wo auch die anderen amerikanischen Trennungsgesetze.
 
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