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Lohmeyer, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1927/28, 4. Abhandlung): Kyrios Jesus: eine Untersuchung zu Phil. 2,5-11 — Heidelberg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.38938#0024
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24

Ernst Lohmeyer:

oder noch allgemeiner und mit bekannten Worten gesagt, es ist
notwendig, das Ererbte zu erwerben, um es zu besitzen.
Noch sind bisher nur die theoretischen Voraussetzungen des
Prädikates in dieser ersten Strophe geklärt, und offen bleibt die
Frage nach der Besonderheit des Bildes vom Baub und seiner
religiösen Bedeutung1. Aber schon aus diesen Voraussetzungen
geht hervor, daß das Prädikat nicht eine gleichsam spielerische
Redeweise enthält, die ein Bild des Alltags in die Sphäre des gött-
lichen Seins und Tuns überträgt2, sondern nur eine grundsätzliche
Bestimmung sein kann. Sie schildert auch nicht den Anfang des-
dialektischen Streites zwischen Gut und Böse, sondern setzt ihn
als Tatsache voraus. Anders gesprochen, nur deshalb kann negativ
von einem Raube gesprochen werden, weil von der Tatsache eines-
Raubes schon gewußt wird. Wie in der zweiten Strophe die Existenz
von Geschichte und Menschheit vorausgesetzt wird, so in dieser
ersten die Existenz des Bösen, oder um es mit den Worten des
Textes zu sagen, die Tatsache, daß das „Gott-gleich-sein“ für
einen „Raub gehalten“ oder geraubt worden ist. Die Wendung
fordert also eine sachliche Antithese und ist nicht ein rein rheto-
risches Bild. Die gleiche Folgerung ergibt sich noch aus einer
anderen Gedankenreihe. Die Strophe spricht nicht von kosmogo-
nischen Tatsachen, sie will nicht die Existenz von Welt und Men-
schen begründen, sondern den Gegensatz von Gott und Mensch,
von Schöpfer und Schöpfung himmelwärts entscheiden. In diesen
bestehenden Gegensatz greift sie ein, um ihn endgültig zu überwin-
den, und sie kann es allein, wenn ihr die Bedingungen gegenwärtig
sind, unter denen dieser Gegensatz steht oder — nach mythischem
Denken — entstanden ist. Da nun dieser Gegensatz den Beginn
des dialektischen Prozesses oder die Entstehung der Welt bedeutet,
muß ein „Raub“ des „Gott-gleich-seins“ in der Urzeit stattgefunden
haben, dessen positives Gegenbild das oüy apTrayjxov ri'feio&ca.
darstellt . Durch dieses kann dann allein, wie schon hier zu vermuten
ist, die Periode der Endzeit eingeleitet werden.

1 Grotius hält die Wendung für eine syrische Redeweise, die er im Sinne
von: non venditavit Christus, non jactavit istam potestatem interpretiert und
durch eine Stelle aus Plutarch, Timoleon belegen will. Die letztere habe ich
nicht verifizieren können. Daß der Sinn richtig getroffen ist, bestätigt Hebr.
5,5 (vgl. unten S. 78 Anra. 1).
2 So mehr oder minder betont W. Jaeger a. a. O., Dibelius, Der Phil.2
(Hdbc-h. zum NT, hsg. von Lietzmann Bd. 11), Exkurs z. St.
 
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