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Goldschmidt, Richard H.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1927/28, 6. Abhandlung): Postulat der Farbwandelspiele — Heidelberg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.38940#0084
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84

R. H. Goldschmidt:

23. Individuell gleichartig zeigen sich die Spannungs- und
Lösungsgefühle, sowie auch andere Gemütserregungen bei einer
ganzen Reihe farbempfänglicher Beobachter, sofern diesen, beim
Anblick ausgesprochen „postulierter“ Farbdarbietungen, die Farb-
folge in ihrer Sukzession zum Erlebnis wird, und soweit, als sonst
bei einem Kunstwerk von einer Gleichartigkeit der Wirkung auf
die Gemüter der Kunstempfänglichen gesprochen werden darf.
In einem — freilich nur scheinbaren — Gegensatz hierzu stehen
die sehr großen individuellen Differenzen beim Erleben von Farb-
zusammenstellungen (nach 7.). G. J. von Allesch schrieb hier-
über unter anderem: »Man mag die Ergebnisse der Einzelversuche
durchsuchen nach welcher Richtung man will, immer zeigt sich,
daß irgendeine Wohlgefälligkeit als konstante Wirkung einer be-
stimmten Farbenzusammenstellung nicht erkennbar ist.« Und man
»könnte . . . ganze Serien von Widersprüchen zusammenstellen, die
sich, was ja die Hauptsache ist, nicht nur in der allgemeinen Rich-
tung des Positiven und Negativen zeigen, sondern auch in der Art
des Eindruckes Unvereinbarkeiten aufweisen, die man kaum für
möglich halten möchte.« Am Schlüsse seiner Abhandlung über
„die ästhetische Erscheinungsweise der Farben“ schrieb G. J.
von Allesch (1925) noch: »Als Letztes .... ergibt sich, daß die
alte Rede von den schönen und häßlichen Farben nur relativen
Sinn hat. Keine Farbe ist schön, keine ist häßlich, sondern jede
kann alles sein, wenn sie im rechten Augenblick und an der rechten
Stelle in die Dynamik des ästhetischen Geschehens eintritt.«
Es darf hier dahingestellt bleiben, ob von Allesch bereits
etwas von der besonderen ästhetischen Bedeutung des Farb-
,,wandeis“ geahnt hat; jedenfalls handelt es sich in seinen höchst-
feinfühligen deskriptiv-psychologischen Beobachtungen über die
ästhetische Erscheinungsweise der Farben um „Simultan“eindrücke
von Farbzusammenstellungen; und der Begriff »Dynamik« be-
deutet ihm »die treibenden Kräfte . . ., die für einzelne Werke,
einzelne Meister, einzelne Epochen kennzeichnend sind«. Wenn
aber des Autors eigene Meinung modifiziert, und die „Dynamik
des Farbwandelspiels“ in Betracht gezogen wird, dann ist auch
sein Begriff „relativ“ in bezug auf die Farbfolge als solche zu ver-
stehen. Und seine Sätze vertragen sich recht gut mit der Annahme,
ein Erleben der Farbfolge als solcher ergriffe beim Anblick aus-
gesprochen „postulierter Farbdarbietungen“ die Gemüter derFarb-
empfänglichen derart mächtig, daß deren individuelle Differenzen
 
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