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Nikolaus [Editor]; Hoffmann, Ernst [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1928/29, 3. Abhandlung): Cusanus-Texte: I. Predigten, 1: Dies sanctificatus vom Jahre 1439 — Heidelberg, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.39951#0033
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Cusanus-Texte. I. „Dies Sanctificatus“.

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Und in nichts anderem konnte die gesamte geschaffene Welt
zur Gottheit geführt werden als im Menschen, der an Ruhm
und Ehre nur um ein Geringes unter den Engeln steht und über
alle Lebewesen und alle anderen Werke der Hand Gottes gesetzt
ist. Darum kennt der Geist des Menschen, der die Natur aller Dinge,
wie sie in jeglicher Creatur sich darstellt, in sich begreift, keine
Ruhe, sondern verlangt über sich hinaus und findet nichts, das
ihn sättige, außer der Unsterblichkeit, die das ewige Leben und
die ewige Weisheit ist. Der Mensch, der das Endziel aller Dinge,
ihr Ruhepunkt und ihr Sabbath sein soll, kann aber nur dann das
oberste Geschöpf sein, das alle Wesen in ihrer Vollkommenheit in
sich begreift, wenn menschliches Wesen eine Person Gottes ist, in
welchem allein Ruhe ist, weil er das Ziel allen Verlangens
bildet. Darum mußte Gott Mensch werden, damit auf diese Weise
■alles zur Vollendung gelangte.
Wenn wir nun mit unseren Augen und unseren an die Sinne
gebundenen Überlegungen die Unterschiede nur in Form von Ab-
ständen in der Zeit erfassen können, so daß Christus als Mensch
in der Zeit nach Abraham und anderen geboren zu sein scheint,
so müssen wir darum wissen, daß Christus als Gott, der über
aller Zeit ist, Prinzip und Ursprung aller Creatur ist, — wie er
selbst es sagte: ,,Revor Abraham war, bin ich“ und wie Paulus
den Ephesern und Kolossern schreibt: „Daher ist er Ursprung der
Lebenden, der Toten und der gesamten Kirche, der triumphieren-
den und der kämpfenden.“ Dieser Christus ist uns in der Form der
Zeitlichkeit auf Erden wandelnd erschienen, ebenso wie er in der
Zeitlichkeit von der Jungfrau geboren ist, am heutigen Tage.
Hier haben wir also folgendes zu bedenken: Weil es keinen
Größeren geben kann als den, in welchem die unendliche Möglich-
keit in sich vollendet und vollkommen ist, — darum ist Christus, der
Herr, insofern er über alle Creatur hinaus der absoluten Größt-
heit verbunden ist, Gott und die unendliche Kunst oder Form
alles Seienden. Insofern er aber der größte Mensch ist, ist er der
vollkommenste Mensch, über den hinaus es keinen vollkom-
meneren geben kann. Und da die menschliche Natur selbst in ihm
ist, die erhabenste, — denn keine andere könnte der göttlichen
Unendlichkeit näher verbunden sein —, so ist er eben dadurch,
daß er der Vollkommenste und Höchste in der Menschheit ist,
auch der der Gottheit am innigsten Geeinte.

Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1928/29. 3. Abh.
 
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