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Nikolaus [Editor]; Hoffmann, Ernst [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1928/29, 3. Abhandlung): Cusanus-Texte: I. Predigten, 1: Dies sanctificatus vom Jahre 1439 — Heidelberg, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.39951#0055
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Cusanus-Texte. ϊ. „Dies Sanctificatus“.

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Unvermögens erhöht sich das Verlangen, es zu überwinden, und
hierin wurzelt die Liebe zu Gott. Erkenntnis und Sittlichkeit be-
dürfen des dynamischen Faktors, um sich in Weg zu setzen; hiermit
ist unser Mangel in Wissen und Können legitimiert.
Zugleich aber ist der Begriff Christi nicht nur als der der ,,un-
endlichen Möglichkeit“ begründet, sondern die konkrete Mensch-
lichkeit Christi ist systematisch gefordert. Ist unsere Aufgabe,
Gottessohn zu werden, so kann die Erfüllung dieser Aufgabe nur
von einem Menschensohne vorbildlich gezeigt werden, wofern
die Aufgabe nicht nur ideal, sondern real sein soll. Ist in uns Ver-
mögen und Unvermögen, so ist Jesus als Lehrer postuliert; sind
wir gleichsam Gottes Adoptivkinder1, so muß unsere Filiation nach
dem Muster seines eigenen Sohnes vor sich gehen; der Weg bedarf
des Führers, das Ideal der Konkretion. So resultiert der Begriff
des Mittlers allseitig aus dem Begriff der Aufgabe.
4. Zum dritten Teile der Predigt.
Die wenigen Worte des dritten Teiles, die Cusanus nieder-
geschrieben hat, streifen noch flüchtig das Verhältnis seiner Philo-
sophie zur Scholastik. Der Satz ,,Der du ein Heide bist in der Spitz-
findigkeit der menschlichen Vernunftgründe . . .“ erinnert lebhaft
an die Stelle der cusanischen Apologie, wo er von der geschwätzigen,
für die heilige Theologie mehr schädlichen als nützlichen Logik
spricht. Betrachtet Cusanus überhaupt seine Lehre als relativ
unabhängig von der der scholastischen Autoritäten, so weiß er sich
geradezu in Gegensatz zum Aristotelismus2 und zum Nominalismus
1 Der Vergleich steht in De Filiatione Dei fol. 65 b: ipsa unigeniti filiatio
sine modo in identitate naturae patris existens et ipsa superabsoluta filiatio:
in qua et per quam omnes adoptionis filii filiationem adipiscentur.
2 In der Apologie macht Cusanus ganz deutlich, warum die aristote-
lische Logik unfähig sei, den wahren Gottesbegriff zu erreichen: „Aristotelis
secta . . . haeresin putat oppositorum coincidentiam1 \ Daher gelangt sie nicht
in die heraklitische Sphäre. — Auch Gothein hat in seiner Skizze „Die Ent-
stehung einer unabhängigen Philosophie“ (Schriften zur Kulturgeschichte der
Renaissance II, 185ff.), wo er den Kampf gegen Aristoteles erst mit der
italienischen Naturphilosophie beginnen läßt, ganz übersehen, welche scharfe
Kritik an der aristotelischen Logik bereits durch die an Mathemathik und
Sprachphilosophie orientierte, von Oxford ausgehende und in Cusanus kul-
minierende Richtung geübt worden ist. Schon hier wurden die logischen
Wurzeln des Streites bloßgelegt; Plethon ging weiter und übertrug den
Streit auf die metaphysischen Grundlagen.
 
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