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Hermann Heimpel:
nicht kannte, so führte die Frage nach dem Sinn der Institutionen
zur Unterordnung des Staates unter die Kirche als Organ oder
aber durch vollkommenen Bruch mit der Kirchenlehre in der
Häresie des Marsilius, zur staatlichen Herrschaft über die Kirche;
oder schließlich, man fragte nicht allgemein nach dem Sinn, sondern
nach der Herkunft der Rechte, und kam zur Eigenkirche.
Auch in Einzelheiten, die nicht die Berufungsfrage selbst
berühren, zeigt sich, wie wenig Dietrich seiner Quelle in ihren
Hauptsätzen wirklich gefolgt ist; ja einzelne Sätze seiner Arbeit
werden erst verständlich, wenn man sie als Polemik oder, da Mar-
silius ja nie zitiert ist, als stille Auseinandersetzung mit dem radi-
kaleren Vorgänger erkennt. Wenn Dietrich (S. 52) im vollen Ein-
klang mit der Tradition erklärt, der Papst zu unbezweifeltem
Hecht könne auf dem Konzil, das er berufen habe und dem er
präsidiere, durchaus eine Lehrautorität, in der Interpretation der
Schrift, ausüben, so ist das eine Auseinandersetzung mit der gegen-
teiligen Ansicht des Marsilius, um so mehr, als die dafür heran-
gezogene pseudo-hieronymianische Stelle ,,Hec est fides“ durch
Marsilius vermittelt ist -— nur steht sie bei diesem unter den Ein-
wänden gegen die eigene Ansicht! Über die Rechte und Pflichten
des papa indubitatus beim Konzilsvorsitz spricht Dietrich zwar
mit den Worten des Marsilius (S. 53f.), aber er kehrt die Schluß-
worte, der Papst dürfe die Befolgung der Beschlüsse im Aufträge
des Konzils mit geistlichen Strafen erzwingen, aber niemals mit
einer Zwangsgewalt durch zeitliche Strafen, in das Gegen-
teil um: Mit geistlichen Strafen und ,,eciam cum potestate aliqua
coactiva pene realis aut personalis“.
Wie in der Hauptfrage den Defensor pacis, so hat Dietrich
für geschichtliche Einzelheiten, für die Geschichte Leos III. und
Johanns XII.1, die zweite Schrift des Marsilius: De translatione
imperii, benutzt, und sich doch in Gegensatz gestellt zu dem Haupt-
inhalt seiner Vorlage, ja, diese da, wo er selbst von der Übertragung
des Reiches spricht2, gar nicht berücksichtigt; während bei Mar-
silius die Übertragung des Imperiums durch den Papst in den
Okzident eine translatio in Francos, und dann, in der Person Ottos
des Großen, in Germanos ist, ist sie für Dietrich einfach eine Über-
tragung in Germanos in der Person Karls d. Gr. — eine Formu-
lierung, die ja seit der Dekretale „Venerabilem“ weit verbreitet
gewesen ist. Er hat aber diese Form noch speziell mit dem Hinweis
1 S. 61 u. 56f. 2 S. 45f.
Hermann Heimpel:
nicht kannte, so führte die Frage nach dem Sinn der Institutionen
zur Unterordnung des Staates unter die Kirche als Organ oder
aber durch vollkommenen Bruch mit der Kirchenlehre in der
Häresie des Marsilius, zur staatlichen Herrschaft über die Kirche;
oder schließlich, man fragte nicht allgemein nach dem Sinn, sondern
nach der Herkunft der Rechte, und kam zur Eigenkirche.
Auch in Einzelheiten, die nicht die Berufungsfrage selbst
berühren, zeigt sich, wie wenig Dietrich seiner Quelle in ihren
Hauptsätzen wirklich gefolgt ist; ja einzelne Sätze seiner Arbeit
werden erst verständlich, wenn man sie als Polemik oder, da Mar-
silius ja nie zitiert ist, als stille Auseinandersetzung mit dem radi-
kaleren Vorgänger erkennt. Wenn Dietrich (S. 52) im vollen Ein-
klang mit der Tradition erklärt, der Papst zu unbezweifeltem
Hecht könne auf dem Konzil, das er berufen habe und dem er
präsidiere, durchaus eine Lehrautorität, in der Interpretation der
Schrift, ausüben, so ist das eine Auseinandersetzung mit der gegen-
teiligen Ansicht des Marsilius, um so mehr, als die dafür heran-
gezogene pseudo-hieronymianische Stelle ,,Hec est fides“ durch
Marsilius vermittelt ist -— nur steht sie bei diesem unter den Ein-
wänden gegen die eigene Ansicht! Über die Rechte und Pflichten
des papa indubitatus beim Konzilsvorsitz spricht Dietrich zwar
mit den Worten des Marsilius (S. 53f.), aber er kehrt die Schluß-
worte, der Papst dürfe die Befolgung der Beschlüsse im Aufträge
des Konzils mit geistlichen Strafen erzwingen, aber niemals mit
einer Zwangsgewalt durch zeitliche Strafen, in das Gegen-
teil um: Mit geistlichen Strafen und ,,eciam cum potestate aliqua
coactiva pene realis aut personalis“.
Wie in der Hauptfrage den Defensor pacis, so hat Dietrich
für geschichtliche Einzelheiten, für die Geschichte Leos III. und
Johanns XII.1, die zweite Schrift des Marsilius: De translatione
imperii, benutzt, und sich doch in Gegensatz gestellt zu dem Haupt-
inhalt seiner Vorlage, ja, diese da, wo er selbst von der Übertragung
des Reiches spricht2, gar nicht berücksichtigt; während bei Mar-
silius die Übertragung des Imperiums durch den Papst in den
Okzident eine translatio in Francos, und dann, in der Person Ottos
des Großen, in Germanos ist, ist sie für Dietrich einfach eine Über-
tragung in Germanos in der Person Karls d. Gr. — eine Formu-
lierung, die ja seit der Dekretale „Venerabilem“ weit verbreitet
gewesen ist. Er hat aber diese Form noch speziell mit dem Hinweis
1 S. 61 u. 56f. 2 S. 45f.