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Hermann Heimpel:
Sieht man auf die erste Schwierigkeit, so ergaben sich, wie
schon angedeutet, zwei Wege: Zunächst ein radikales Aufgeben
einer autoritativen Berufung durch eine der traditionellen In-
stanzen: die Kirche als autonome Korporation versammelt sich
selbst. So wollte es schon Ockam: Die Kirche wählt ihre Vertreter
und schickt sie an den Ort des Konzils; auf die berechtigte Frage,
was denn bei solchem Fehlen aller Autorität denjenigen gegenüber
geschehen solle, die keine Vertreter schicken wollten, muß Ockam
antworten, sie schlössen sich dann eben aus, mit ihnen brauche
das Konzil nicht zu rechnen1; man sieht hier an diesem Punkte,
wie unfertig die Vorstellung Ockams von der Kirche als Kor-
poration war, indem er ihr nicht als Gesamtheit eine Jurisdiktion
über die Einzelnen zusprach; man sieht auch: er schreibt nicht
in der Not der Schismazeit. Als Selbstversammlung der Kirche
haben auch Ailly2, Gerson3 und Antonius de Butrio die von ihnen
praktisch vorgeschlagene Berufung durch die Kardinale aufgefaßt:
nicht als Inhaber einer Jurisdiktion berufen sie, ihr Ruf (der auch
von anderen, wie z. B. vom Kaiser, ausgehen könnte) ist, wie Butrio
es ausdrückt, nur eine Mahnung des nach dem Papste vornehmsten
Gliedes der Kirche an die Gesamtkirche, sich selbst zu versammeln.
Freilich versammelt sich nach Butrio, wie bemerkt, die Kirche
nur de facto, die päpstliche Autorisation tritt hinzu4. Man spürt
gerade hier, bei dem Gedanken der Selbstversammlung der Kirche,
den großen Abstand zwischen theologischen Denkern wie Ailly,
1 Ockam, Dialogus, Goldast, Monarchia 2, 603.
2 Ailly auf der Synode von Aix, 1. Januar 1409: Die Kirche versammelt
sich selbst unter ihrem Haupt Christus, aber auch nach dem Naturrecht,
nach dem die Korporationen ihre Einheit bewahren, vgl. Schwab, Gerson 222.
3 Gerson, De unitate ecclesiae, Op. 2, 114. Wenn der Papst tot ist oder
keine Aussicht auf Obödienz hat: ecclesia . . . potest ad procurandum sibi
vicarium semet congregare ad concilium generale representans eam, et hoc
non solum auctoritate d. cardinalium, sed etiam adiutorio et auxilio cuius-
cunque principis vel alterius christiani.
4 Mansi 27, 325: Die nachträgliche päpstliche Autorisation voraus-
gesetzt, gilt für Butrio: In der Not der Kirche, in der die Päpste ihre Ver-
sprechungen nicht halten, müssen die Prälaten dem Rufe der Kardinäle folgen
nedum vocati a tam notabili cetu, sed ex se, nullatenus vocati. Die Beru-
fungen sind in solchen Fällen nicht proprie citaciones, sed requisiciones . . .
Nam non proprie citant, sed monent, ut tali die concilium celebretur. Ein
anonymer Vorschlag (Informatio summaria) vom Anfang 1408, an sich für
Gregors Berufungsrecht eintretend, läßt auf seine Weigerung hin das Konzil
durch den gesamten Klerus berufen: RTA 6, 263.
Hermann Heimpel:
Sieht man auf die erste Schwierigkeit, so ergaben sich, wie
schon angedeutet, zwei Wege: Zunächst ein radikales Aufgeben
einer autoritativen Berufung durch eine der traditionellen In-
stanzen: die Kirche als autonome Korporation versammelt sich
selbst. So wollte es schon Ockam: Die Kirche wählt ihre Vertreter
und schickt sie an den Ort des Konzils; auf die berechtigte Frage,
was denn bei solchem Fehlen aller Autorität denjenigen gegenüber
geschehen solle, die keine Vertreter schicken wollten, muß Ockam
antworten, sie schlössen sich dann eben aus, mit ihnen brauche
das Konzil nicht zu rechnen1; man sieht hier an diesem Punkte,
wie unfertig die Vorstellung Ockams von der Kirche als Kor-
poration war, indem er ihr nicht als Gesamtheit eine Jurisdiktion
über die Einzelnen zusprach; man sieht auch: er schreibt nicht
in der Not der Schismazeit. Als Selbstversammlung der Kirche
haben auch Ailly2, Gerson3 und Antonius de Butrio die von ihnen
praktisch vorgeschlagene Berufung durch die Kardinale aufgefaßt:
nicht als Inhaber einer Jurisdiktion berufen sie, ihr Ruf (der auch
von anderen, wie z. B. vom Kaiser, ausgehen könnte) ist, wie Butrio
es ausdrückt, nur eine Mahnung des nach dem Papste vornehmsten
Gliedes der Kirche an die Gesamtkirche, sich selbst zu versammeln.
Freilich versammelt sich nach Butrio, wie bemerkt, die Kirche
nur de facto, die päpstliche Autorisation tritt hinzu4. Man spürt
gerade hier, bei dem Gedanken der Selbstversammlung der Kirche,
den großen Abstand zwischen theologischen Denkern wie Ailly,
1 Ockam, Dialogus, Goldast, Monarchia 2, 603.
2 Ailly auf der Synode von Aix, 1. Januar 1409: Die Kirche versammelt
sich selbst unter ihrem Haupt Christus, aber auch nach dem Naturrecht,
nach dem die Korporationen ihre Einheit bewahren, vgl. Schwab, Gerson 222.
3 Gerson, De unitate ecclesiae, Op. 2, 114. Wenn der Papst tot ist oder
keine Aussicht auf Obödienz hat: ecclesia . . . potest ad procurandum sibi
vicarium semet congregare ad concilium generale representans eam, et hoc
non solum auctoritate d. cardinalium, sed etiam adiutorio et auxilio cuius-
cunque principis vel alterius christiani.
4 Mansi 27, 325: Die nachträgliche päpstliche Autorisation voraus-
gesetzt, gilt für Butrio: In der Not der Kirche, in der die Päpste ihre Ver-
sprechungen nicht halten, müssen die Prälaten dem Rufe der Kardinäle folgen
nedum vocati a tam notabili cetu, sed ex se, nullatenus vocati. Die Beru-
fungen sind in solchen Fällen nicht proprie citaciones, sed requisiciones . . .
Nam non proprie citant, sed monent, ut tali die concilium celebretur. Ein
anonymer Vorschlag (Informatio summaria) vom Anfang 1408, an sich für
Gregors Berufungsrecht eintretend, läßt auf seine Weigerung hin das Konzil
durch den gesamten Klerus berufen: RTA 6, 263.