Studien zur Kirchen- und Reichsreform des 15. Jahrhunderts.
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Gerson und auch Konrad v. Gelnhausen mit ihrem Gedanken: die
Kirche unter ihrem Haupte Christus versammelt sich selbst, und
einem Kanonisten wie Butrio, der mit einer Selbstversammlung
der Kirche als einem bloß faktischen Akt und der festgehaltenen
päpstlichen Autorisation operieren muß, um mit dem überlieferten
Recht fertig zu werden: Die Apostel haben sich zwar ohne Beru-
fung versammelt, rechtlich kann sich die Kirche selbst versammeln
wie jede Korporation, aber andererseits gibt es nach der 17. Di-
stinktion im Dekret eben kein gültiges Konzil ohne den Papst.
Daher wird diese wiederum so interpretiert, daß nur die Autori-
sation darin gefordert sei, dagegen ist die Berufung durch den
Papst, ut facti quod fiat a papa, nicht wesentlich.
Hielt man aber praktisch und prinzipiell an einer autoritativen
Berufung fest1, und das tun, dem praktischen kirchenpolitischen
Zweck ebenso entsprechend wie ihrem im allgemeinen konser-
vativeren Kirchenbegriff und ihrer weniger theologischen als juri-
stischen Einstellung, die meisten Schriftsteller, so boten sich als
Ersatz des Papstes die Kardinale und der Kaiser als Inhaber einer
Jurisdiktion, die allgemein genug war, um die päpstliche zu er-
setzen2. Die Kardinäle oder der Kaiser werden dabei nicht etwa
in der Weise eingeführt, daß der Appell an die Kardinäle der prin-
zipiell konservativere, der an den Kaiser, als einen Laien, der
prinzipiell revolutionärere Weg wäre. So könnte es, nach Dietrichs
Rückgang auf Marsilius für die kaiserliche Berufung, scheinen.
Vielmehr ist zu zeigen, wie bei beiden Vorschlägen verschiedene
Auffassungen von der Kirche möglich sind. An sich sind ja die
Vorschläge im einzelnen durch die Kirchenpolitik begründet; wie
die Kardinäle in Pisa sich Gutachten der Bologneser Juristen
bestellen, die ihr Vorgehen rechtfertigen sollen, so hat die gregori-
anische Partei die kaiserliche Berufung in den Vordergrund ge-
schoben, weil ihr König Ruprecht von der Pfalz zur Verfügung
1 Im allgemeinen stillschweigend vorausgesetzt, dagegen deutlich for-
muliert in den von Butrio bekämpften Einwänden (S. 322): Congregacio con-
cilii debet fieri ab eo, qui habet aliquam auctoritatem vel Jurisdictionem super
eos, contra quos fit convocacio.
2 Ähnlich der Gegner Konrads von Gelnhausen (nach Bliemetzrieder,
Literarische Polemik 78*, der Kardinal Petrus Amelii): Bliemetzrieder,
a. a. O., 127: Si omnes persone ecclesiastice mundi essent congregate alicubi
sine auctoritate pape, dumtaxat singuli per singulos haberent auctoritatem
et potestatem, sed nullus eorum super omnes, nec eciam omnes simul, quia
sola Romana ecclesia hanc habet potestatem, sc. de omnibus iudicandi.
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Gerson und auch Konrad v. Gelnhausen mit ihrem Gedanken: die
Kirche unter ihrem Haupte Christus versammelt sich selbst, und
einem Kanonisten wie Butrio, der mit einer Selbstversammlung
der Kirche als einem bloß faktischen Akt und der festgehaltenen
päpstlichen Autorisation operieren muß, um mit dem überlieferten
Recht fertig zu werden: Die Apostel haben sich zwar ohne Beru-
fung versammelt, rechtlich kann sich die Kirche selbst versammeln
wie jede Korporation, aber andererseits gibt es nach der 17. Di-
stinktion im Dekret eben kein gültiges Konzil ohne den Papst.
Daher wird diese wiederum so interpretiert, daß nur die Autori-
sation darin gefordert sei, dagegen ist die Berufung durch den
Papst, ut facti quod fiat a papa, nicht wesentlich.
Hielt man aber praktisch und prinzipiell an einer autoritativen
Berufung fest1, und das tun, dem praktischen kirchenpolitischen
Zweck ebenso entsprechend wie ihrem im allgemeinen konser-
vativeren Kirchenbegriff und ihrer weniger theologischen als juri-
stischen Einstellung, die meisten Schriftsteller, so boten sich als
Ersatz des Papstes die Kardinale und der Kaiser als Inhaber einer
Jurisdiktion, die allgemein genug war, um die päpstliche zu er-
setzen2. Die Kardinäle oder der Kaiser werden dabei nicht etwa
in der Weise eingeführt, daß der Appell an die Kardinäle der prin-
zipiell konservativere, der an den Kaiser, als einen Laien, der
prinzipiell revolutionärere Weg wäre. So könnte es, nach Dietrichs
Rückgang auf Marsilius für die kaiserliche Berufung, scheinen.
Vielmehr ist zu zeigen, wie bei beiden Vorschlägen verschiedene
Auffassungen von der Kirche möglich sind. An sich sind ja die
Vorschläge im einzelnen durch die Kirchenpolitik begründet; wie
die Kardinäle in Pisa sich Gutachten der Bologneser Juristen
bestellen, die ihr Vorgehen rechtfertigen sollen, so hat die gregori-
anische Partei die kaiserliche Berufung in den Vordergrund ge-
schoben, weil ihr König Ruprecht von der Pfalz zur Verfügung
1 Im allgemeinen stillschweigend vorausgesetzt, dagegen deutlich for-
muliert in den von Butrio bekämpften Einwänden (S. 322): Congregacio con-
cilii debet fieri ab eo, qui habet aliquam auctoritatem vel Jurisdictionem super
eos, contra quos fit convocacio.
2 Ähnlich der Gegner Konrads von Gelnhausen (nach Bliemetzrieder,
Literarische Polemik 78*, der Kardinal Petrus Amelii): Bliemetzrieder,
a. a. O., 127: Si omnes persone ecclesiastice mundi essent congregate alicubi
sine auctoritate pape, dumtaxat singuli per singulos haberent auctoritatem
et potestatem, sed nullus eorum super omnes, nec eciam omnes simul, quia
sola Romana ecclesia hanc habet potestatem, sc. de omnibus iudicandi.