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Ernst Hoffmann.
können als Explikation (nicht1 als Emanation) aus Einem einzigen
Urprinzip heraus. Dieses muß Gott sein.
Cusanus glaubt, daß dieser Gedanke: etwas in der Compli-
■catio noch Unerkennbares durch Explicatio kenntlich zu machen,
für die Erkenntnistheorie erleuchtend sei. Er hat daher einer seiner
Schriften, in welcher er auf diese Weise 'Unsichtbares sichtbar’
machen will, den Titel De beryllo gegeben. Wie der transparente
Beryll (der Stein, nach dem man die 'Brillen’ benannt hat, welche
schon Roger Bacon gefordert hatte) mit seiner 'gleichermaßen kon-
kaven wie konvexen Form’ die Kraft hat, vorher Nichtgesehenes
sichtbar zu machen, so wird das Komplizite sichtbar, wenn es von
seiner Entfaltung her betrachtet wird. Es wird in dieser Schrift
das methodische Prinzip aufgestellt, für unser intellektuelles Auge
einen 'intellectualis beryllus’ herzustellen mit einer gleichermaßen
'größten und kleinsten Form’: per eius medium attingitur invisibile
ornnium principium2.
In diesem Lehrstück liegen Anfänge, die erst Bruno, Spinoza
und Leibniz fortgebildet haben. Brunos schöpferisches Minimum,
Leibnizens Monas, Spinozas deduktive Ableitung der Welt aus
Gott, sie haben hier ihren genealogischen Ursprung. Wie aber
verträgt sich der Gedanke von der Coincidentia mit dem von der
-Complicatio ? Wie der Begriff eines Absoluten, welches von der
Welt tmematisch geschieden ist, mit dem eines Prinzips, aus wel-
chem die Welt explikativ hervorgegangen gedacht werden soll ? In
der Tat ist der Zusammenhang der beiden Lehrstücke nur dann
deutlich und zwingend, wenn man in beiden Problemen das Logos-
problem sieht, d. h. wenn man die erkenntnistheoretischen Motive
1 Die Emanation hat Wertstufen, die Explikation nicht. Für den Emana-
tismus muß die Welt Gott in abgeschwächter Weise sein. Davon ist bei
Cusanus keine Rede. Sein Begriff der Explikation ist eher der einer ewigen
Offenbarung des Absoluten, eher der einer dauernden Mitteilung, durch welche
das Tmema ja gefordert wird, als der eines Ausströmens, mit dem es unver-
einbar wäre. Durch das Tmema soll die Welt nichts preisgegeben, durch die
Explikation soll sie nicht vergottet werden.
2 Die Philosophie des Cusanus will selber dieser Beryll sein. Cusanus hat
durch diesen Vergleich seine eigene Lehre besser charakterisiert, als irgendwer
nach ihm vermocht hat. Der Sachverhalt liegt ähnlich wie bei Kant: die
transzendentale Methode schien die Phänomene zu degradieren; in Wahrheit
hat sie den Blick für die Phänomene mehr geschärft als irgend eine Philosophie
vorher. Cusanus schien die Erkenntnis der Welt durch Relativierung preis-
zugeben; in Wahrheit hat er sie durch eben diese gerettet.
Ernst Hoffmann.
können als Explikation (nicht1 als Emanation) aus Einem einzigen
Urprinzip heraus. Dieses muß Gott sein.
Cusanus glaubt, daß dieser Gedanke: etwas in der Compli-
■catio noch Unerkennbares durch Explicatio kenntlich zu machen,
für die Erkenntnistheorie erleuchtend sei. Er hat daher einer seiner
Schriften, in welcher er auf diese Weise 'Unsichtbares sichtbar’
machen will, den Titel De beryllo gegeben. Wie der transparente
Beryll (der Stein, nach dem man die 'Brillen’ benannt hat, welche
schon Roger Bacon gefordert hatte) mit seiner 'gleichermaßen kon-
kaven wie konvexen Form’ die Kraft hat, vorher Nichtgesehenes
sichtbar zu machen, so wird das Komplizite sichtbar, wenn es von
seiner Entfaltung her betrachtet wird. Es wird in dieser Schrift
das methodische Prinzip aufgestellt, für unser intellektuelles Auge
einen 'intellectualis beryllus’ herzustellen mit einer gleichermaßen
'größten und kleinsten Form’: per eius medium attingitur invisibile
ornnium principium2.
In diesem Lehrstück liegen Anfänge, die erst Bruno, Spinoza
und Leibniz fortgebildet haben. Brunos schöpferisches Minimum,
Leibnizens Monas, Spinozas deduktive Ableitung der Welt aus
Gott, sie haben hier ihren genealogischen Ursprung. Wie aber
verträgt sich der Gedanke von der Coincidentia mit dem von der
-Complicatio ? Wie der Begriff eines Absoluten, welches von der
Welt tmematisch geschieden ist, mit dem eines Prinzips, aus wel-
chem die Welt explikativ hervorgegangen gedacht werden soll ? In
der Tat ist der Zusammenhang der beiden Lehrstücke nur dann
deutlich und zwingend, wenn man in beiden Problemen das Logos-
problem sieht, d. h. wenn man die erkenntnistheoretischen Motive
1 Die Emanation hat Wertstufen, die Explikation nicht. Für den Emana-
tismus muß die Welt Gott in abgeschwächter Weise sein. Davon ist bei
Cusanus keine Rede. Sein Begriff der Explikation ist eher der einer ewigen
Offenbarung des Absoluten, eher der einer dauernden Mitteilung, durch welche
das Tmema ja gefordert wird, als der eines Ausströmens, mit dem es unver-
einbar wäre. Durch das Tmema soll die Welt nichts preisgegeben, durch die
Explikation soll sie nicht vergottet werden.
2 Die Philosophie des Cusanus will selber dieser Beryll sein. Cusanus hat
durch diesen Vergleich seine eigene Lehre besser charakterisiert, als irgendwer
nach ihm vermocht hat. Der Sachverhalt liegt ähnlich wie bei Kant: die
transzendentale Methode schien die Phänomene zu degradieren; in Wahrheit
hat sie den Blick für die Phänomene mehr geschärft als irgend eine Philosophie
vorher. Cusanus schien die Erkenntnis der Welt durch Relativierung preis-
zugeben; in Wahrheit hat er sie durch eben diese gerettet.