Cusanus-Studien: I. Das Universum des Nikolaus von Cues.
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müsse auch der Intellekt eines von beiden sein und zwar nur das
Eine von beiden, entweder bloße Erscheinung oder absolut göttlich.
Der Einwand ist falsch, denn wie alles Endliche im Verhältnisse der
'Teilhabe’ zum Absoluten steht, im Verhältnis des Gemessenen zum
Maßstab, so ist die spezifische Art der Teilhabe des Intellekts die:
daß er die Teilhabe denkt. Er ist der Messende. Die Analysis der
Erkenntnisfunktion ergibt für Cusanus die Trias, daß der Intellekt
erstens den Begriff der Erscheinung, zweitens den des Absoluten,
drittens aber den Begriff 'Teilhabe’ der Erscheinung am Absoluten
denkt. In diesem Denken der Teilhabe besteht seine eigene und
eigenartige Form der Teilhabe. Sein Denken muß so operieren, daß
der Denkakt, der Denkprozeß umspannt: Wesen und Erscheinung,
d. h. Eines und Vieles1. Also er muß selber Einheit sein, die sich in
die Vielheit entfaltet, um in seiner irdischen begrifflichen Art das
metaphysische Verhältnis von Unendlichem und Endlichem (Par-
ticipatio) wiedergeben zu können. Wäre der Intellekt abbildend, so
hätte er nur wie die Dinge eine passivische Teilhabe am Absoluten,
d. h. gar keine denkende Teilhabe am absoluten Intellekt; er könnte
nicht deuten, nicht messen, nicht Sprachen verstehen, nichts Kom-
paratives auf Superlatives beziehen. Nun aber ist er nicht ab-
bildend und negativ, sondern aktiv messend und sondernd, näm-
lich 'discernierend’, diskursiv: Der Intellekt steht, wie es in der
Schrift des Cusanus über das Globusspiel heißt, zu Gott einerseits
und den Dingen andrerseits so wie der Wechsler zum Münzmeister
und zu den Geldmünzen. Indem der Wechsler die Münzen unter-
scheiden kann, kann er zugleich ihren Wert bestimmen. 'Semoto
intellectu non potest sciri an sit valor’. Soll die Welt Wert haben,
so mußte ihr Schöpfer zugleich diszernierenden Intellekt schaffen,
der das Viele nach einem, absoluten Maßstab messen konnte. Das
ist die Art, wie der Intellekt an Gottes Schöpferkraft 'teilhat’.
Gott schafft die Wesensunterschiedlichkeit der Dinge; der In-
tellekt läßt alle Begriffsunterschiede aus sich hervorgehen. So
ist seine begriffliche Explicatio die Art, wie er sich 'anähnelt’
dem Schöpfertum Gottes, das sich dem christlichen Philosophen
darstellt als das Sein des Einen im Vielen.
Das erste Lehrstück hat heraklitischen Charakter, es verneint
für die Sphäre des Absoluten die Geltung des Satzes vom Wider-
spruch. Das zweite Lehrstück hat pythagoreischen Charakter, es
1 Idiot III, 15 heißt es geradezu: si mens est coincidentia unitatis et
alteritatis.
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müsse auch der Intellekt eines von beiden sein und zwar nur das
Eine von beiden, entweder bloße Erscheinung oder absolut göttlich.
Der Einwand ist falsch, denn wie alles Endliche im Verhältnisse der
'Teilhabe’ zum Absoluten steht, im Verhältnis des Gemessenen zum
Maßstab, so ist die spezifische Art der Teilhabe des Intellekts die:
daß er die Teilhabe denkt. Er ist der Messende. Die Analysis der
Erkenntnisfunktion ergibt für Cusanus die Trias, daß der Intellekt
erstens den Begriff der Erscheinung, zweitens den des Absoluten,
drittens aber den Begriff 'Teilhabe’ der Erscheinung am Absoluten
denkt. In diesem Denken der Teilhabe besteht seine eigene und
eigenartige Form der Teilhabe. Sein Denken muß so operieren, daß
der Denkakt, der Denkprozeß umspannt: Wesen und Erscheinung,
d. h. Eines und Vieles1. Also er muß selber Einheit sein, die sich in
die Vielheit entfaltet, um in seiner irdischen begrifflichen Art das
metaphysische Verhältnis von Unendlichem und Endlichem (Par-
ticipatio) wiedergeben zu können. Wäre der Intellekt abbildend, so
hätte er nur wie die Dinge eine passivische Teilhabe am Absoluten,
d. h. gar keine denkende Teilhabe am absoluten Intellekt; er könnte
nicht deuten, nicht messen, nicht Sprachen verstehen, nichts Kom-
paratives auf Superlatives beziehen. Nun aber ist er nicht ab-
bildend und negativ, sondern aktiv messend und sondernd, näm-
lich 'discernierend’, diskursiv: Der Intellekt steht, wie es in der
Schrift des Cusanus über das Globusspiel heißt, zu Gott einerseits
und den Dingen andrerseits so wie der Wechsler zum Münzmeister
und zu den Geldmünzen. Indem der Wechsler die Münzen unter-
scheiden kann, kann er zugleich ihren Wert bestimmen. 'Semoto
intellectu non potest sciri an sit valor’. Soll die Welt Wert haben,
so mußte ihr Schöpfer zugleich diszernierenden Intellekt schaffen,
der das Viele nach einem, absoluten Maßstab messen konnte. Das
ist die Art, wie der Intellekt an Gottes Schöpferkraft 'teilhat’.
Gott schafft die Wesensunterschiedlichkeit der Dinge; der In-
tellekt läßt alle Begriffsunterschiede aus sich hervorgehen. So
ist seine begriffliche Explicatio die Art, wie er sich 'anähnelt’
dem Schöpfertum Gottes, das sich dem christlichen Philosophen
darstellt als das Sein des Einen im Vielen.
Das erste Lehrstück hat heraklitischen Charakter, es verneint
für die Sphäre des Absoluten die Geltung des Satzes vom Wider-
spruch. Das zweite Lehrstück hat pythagoreischen Charakter, es
1 Idiot III, 15 heißt es geradezu: si mens est coincidentia unitatis et
alteritatis.
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