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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1929/30, 3. Abhandlung): Das Universum des Nikolaus von Cues — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.39956#0030
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Ernst Hoffmann.

Zunächst also lernen wir aus diesem Lehrstück zweierlei: Der
Gedanke, daß alles Erscheinende nur Signum sensibile ist und daß
der Schnitt zwischen dem Finiten und Infiniten radikal ist, macht
sogar vor der Kirche nicht halt. Selbst die christliche Kirche -
als Kirche, als sichtbare Institution in Raum und Zeit — ist nicht
nur als unmittelbarer, lebendiger Leib des Heiligen Geistes auf zu-
fassen1, sondern unter dem Gesichtspunkt der Explicatio auch als
ein Geschichtskörper neben anderen, ein Gebilde in der Zeit unter
anderen zeitlichen Gebilden, einerseits unvermögend wie alle
anderen, den Weg zum Absoluten wirklich zu besitzen, andererseits
berufen, wie alle anderen, an ihrer Stelle und mit ihren individuellen
Kräften am Absoluten teilzuhaben. Natürlich ist für Cusanus die
christliche Kirche die wahre, sie wird auch in ihrer sichtbaren Form
von ihm bejaht. Schon sie ist die Concordantia von Vielen in dem
Einen Christus. Dazu aber kommt: die vielen Kirchen müssen zur
Konkordanz mit der einen gebracht werden; es wäre nach seiner
Ansicht kein Sieg menschlichen Geistes, die Vielgestaltigkeit reli-
giöser Anschauungsformen zu zerschlagen; es wäre vielmehr ein
Sieg, wenn er, der zur Explicatio Berufene, gerade zeigen könnte,
wie eben die Varietas rituum eine Explicatio ist, eine Entfaltung
ursprünglicher kompliziter Gottesidee und somit, als Entfaltung,
gerade Zeichen geistigen Reichstums und geistiger Fülle, die aus
der Einheit in die Vielheit drängt.
Also diese Teilhabe ist Aktivität, und hiermit ist nun ein neues
Motiv angeschlagen: es gilt, das Wesen dieser Aktivität des Indi-
viduellen näher zu bestimmen. Das hat Cusanus namentlich in
der Schrift De visione Dei2 getan. Er knüpft hier an solche Bilder
Theokratie; aber was Dante fordert, ist ein 'oberster Kaiser’, und auch wer
den Papst zumActor pacis machen wollte, ersehnte den Wel tfrieden auf Grund-
lage einer Herrschaft und träumte von Eroberung des heiligen Landes. Bei
Cusanus aber folgt der Friedensgedanke unmittelbar aus dem synthetischen
Motiv seiner ganzen Philosophie, das sich schon in den Wörtern coincidentia,
complicatio, concordantia ausspricht. Für den Übergang des antiken in den
christlichen Friedensgedanken gibt reiches Material und sorgfältige Unter-
suchungen Harald Fuchs, Augustin und der antike Friedensgedanke (N. philol.
Unters. III, Berlin 1926). Ergänzungen über den Orbis catholicus bei Joseph
Vogt, Orbis Romanus (Tübingen 1929). Erst durch den Vergleich mit den älte-
ren Stellen wird recht fühlbar, wie unendlich weit der Weltbegriff des Cusanus
gespannt ist, dem die Vielheit der Religionen zu einer Notwendigkeit wurde.
1 Als solchen hat sie Cusanus z. B. in Excit. VII (passim) dargestellt.
2 Diese Schrift ziehe ich hier nur unter dem angegebenen Gesichtspunkt
heran. Es handelt sich für uns nur um das Universum und um die in ihm
 
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