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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1929/30, 3. Abhandlung): Das Universum des Nikolaus von Cues — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.39956#0031
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Cusanus-Studien: I. Das Universum des Nikolaus von Gues.

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wie das Roger van der Weydens im Rathaus zu Brüssel an, wo ein
Mensch so porträtiert ist, daß er jedem Beschauer den Blick zuzu-
wenden scheint. Dem stillstehenden Beschauer steht er still, dem
sich Bewegenden bewegt er sich; er sieht nach Osten und Westen,
nach Nord und Süd. Dieses Bild soll uns verdeutlichen, wie wir
zum Absoluten stehen. Jeder von uns, der den Blick zum Absoluten
erhebt, steht unmittelbar zu ihm. Das besagte im Grunde schon
der Satz 'Finiti et infiniti nulla proportio’. Nun aber kommt hinzu:
keine einzige unter den möglichen einzelnen Positionen ist 'die’
richtige oder wahre Position; selbst wenn ich nacheinander alle
möglichen Einzelpositionen einzunehmen versuche, geht mir da-
durch noch immer nicht der Sinn dieser eigentümlichen Subjekt-
Objektkorrelation auf; sondern ich muß dessen inne werden, in-
wieweit das Richtung-Nehmen, das Zielen selber, das Einstellen
des Blickes überhaupt erst dieses Verhältnis herstellt. Wäre Gottes
Blick nicht, so wäre alles umsonst, aber auch ich muß das Bild
ansehen, erst dann sieht es mich an. Und wie und von wo ich das
Bild ansehe, so und dorthin sieht das Bild: Nicht das Bild allein
ist Träger der Aktivität. Aus dem bloßen Sein des Gesehenen folgt
nicht automatisch, daß es eine Vielheit möglicher Aspekte gewährt,
sondern diese Möglichkeit und individuelle Vielheit folgt erst wirk-
lich aus dem aktiven Stellungnehmen und Richtungwählen des
Subjekts. Schon in der Docta ignorantia ist ein ähnliches Gleichnis
verwendet (II, 3): die Wahrheit als Selbstporträt Gottes. Das
Gleichnis empfahl sich für Cusanus in ganz besonderer Weise, weil
sein Platonismus und Paulinismus ihn lehrte, alles endliche, mensch-
liche Erkennen für eine Spiegelsicht zu halten. In der Doct. ign.
läßt Cusanus das Bild wandern, den Gegenstand des Bildes aber* 1
existierende Erkenntnis der Vernunftwesen. Wie dazu die kontemplative
Gottesschau steht, bleibt außer Betracht. Das hieße fragen: wie sich bei
Cusanus Ruysbroeck und Platon vertragen. Auf die Mystik geht kurz ein
E. G. Salter in Evelyn Underhills englischer Übersetzung The vision of God
(London, J. M. Dent).
1 Cusanus wird das Gleichnis der Docta ignorantia für die spätere Schrift
deshalb geändert haben, weil er die Gefahr vermeiden wollte, daß unser Er-
kennen des Absoluten wie eine Art bloßer Nachahmung der Selbsterkenntnis
des Absoluten gedeutet werde. Für das, was er ausdrücken wollte, braucht Gott
sich nicht selbst zu porträtieren: es genügt, daß der gemalte Gegenstand zu
jedem Beschauer Auge in Auge steht, weil er vom Maler Auge in Auge gemalt
ist. Daß auch dieses Gleichnis letztlich unzutreffend ist (weil es auf täuschendem
Schein in der Fläche beruht), weiß Cusanus (vgl. De vis. 1 Anfang), aber er-
hält noch fest an der alten Etymologie: &z6q ob hoc dicitur, quia omnia intuetur.
 
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