Fabel, Aretalogie, Novelle.
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denken hat, sich mit einem römischen Soldaten einzulassen, wird
der Archetypus von Petron, Phädrus, Romulus nicht in die aller-
erste Zeit zu setzen sein. Wir kommen damit in die Nachbarschaft
der milesischen Novellen des Aristides, die Ende des 2. oder Anfang
des 1. Jahrhunderts entstanden sind und schon unter Sulla in Sisenna
ihren Übersetzer fanden. Die ganze Art von Petrons Fassung der
Novelle hat schon oft dazu bewogen, in ihr eine „Milesia“ zu er-
kennen.1 Gahen2 sagt zwar, da sie in Ephesos spiele, könne sie
aus den Μιλησιακά direkt nicht stammen. Aber wer will beweisen,
daß Aristides nur in Milet lokalisierte Geschichten brachte und die
Matrone nicht etwa als Parallele zu einem andern exemplum von
„Weibertreue“ konnte mitgeteilt sein? Rohde, Kl. Sehr. II, 191 nahm
an, Petron und Phädrus hätten als gemeinsame Quelle eine „schwer-
lich sehr viel ältere“ Vorlage gehabt. Leider ein dehnbarer Regriff!
Da er aber für Rohde einerseits in Gegensatz steht zur Hypothese
vom vermuteten orientalischen Ursprung des ganzen Stoffes, andrer-
seits auch nach ihm zu verbinden ist mit dem eben erwähnten
Terminus post quem der römischen Kreuzigung, wird man Rohdes
„schwerlich sehr viel älter“ nicht auf die erste Kaiserzeit allein
deuten müssen. Gibt nicht vielleicht der bei Petron 115, 5 und
113, 2 vorkommende Ausdruck imperator provinciae bzw. imperator
allein etwas aus? Daß man den Proprätor oder Prokonsul als Statt-
halter mit imperator provinciae bezeichnet, scheint für die Zeit nach
Augustus auffallend, weniger aber für die spätere republikanische
Epoche.3 So darf man vielleicht annehmen, daß Petron die Formu-
lierung seiner Vorlage, seiner lateinischen Quelle republikanischer
Zeit beibehält, und das wird dann Sisennas Übersetzung von Aristides
Μιλησιακά gewesen sein. Auch der Zusatz (hypogaeo) Graeco more
ist verständlicher bei einer Quelle aus den ersten Zeiten der Provincia
Asia; in neronischer Zeit ihn erst einzuführen, wäre kaum erforder-
lich gewesen.
1 Dilthey, Callim. Cydipp. 102 A.; v. Wilamowitz, Griech. Lit.3 * 186; Lucas,
Philol. 66, 1907, 16f.; Christ-Schmid II6, 481; Hausrath, N. Jahrb. 33, 1914, 452;
Rosenblüth, Beitr. z. Quellenk. v. Petrons Sat. 64; Gemoll, Apophthegma 93. 116;
Norden, Röm. Lit.3, 76; Ernout, Ausgabe, p. XIV; Morelli, Stud. Ital. N. S. 1,
1920, 99; Aly, Neue Jahrb. f. Wissenschaft u. Jugendbildung 1 (1925) 198.
2 Le Satyricon et ses origines (1921) 98.
3 Zur Terminologie Rosenberg, RE. IX, 1142 und 1144. Die von Burmann
zitierten Stellen Sallust Jug. 24, 7 und'Cicero, pro Quinct. 7, 28 geben keine genaue
Entsprechung; am nächsten steht noch Cic. in Pis. 16, 38: Piso wurde vulturius
illius provinciae . . . imperator genannt.
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denken hat, sich mit einem römischen Soldaten einzulassen, wird
der Archetypus von Petron, Phädrus, Romulus nicht in die aller-
erste Zeit zu setzen sein. Wir kommen damit in die Nachbarschaft
der milesischen Novellen des Aristides, die Ende des 2. oder Anfang
des 1. Jahrhunderts entstanden sind und schon unter Sulla in Sisenna
ihren Übersetzer fanden. Die ganze Art von Petrons Fassung der
Novelle hat schon oft dazu bewogen, in ihr eine „Milesia“ zu er-
kennen.1 Gahen2 sagt zwar, da sie in Ephesos spiele, könne sie
aus den Μιλησιακά direkt nicht stammen. Aber wer will beweisen,
daß Aristides nur in Milet lokalisierte Geschichten brachte und die
Matrone nicht etwa als Parallele zu einem andern exemplum von
„Weibertreue“ konnte mitgeteilt sein? Rohde, Kl. Sehr. II, 191 nahm
an, Petron und Phädrus hätten als gemeinsame Quelle eine „schwer-
lich sehr viel ältere“ Vorlage gehabt. Leider ein dehnbarer Regriff!
Da er aber für Rohde einerseits in Gegensatz steht zur Hypothese
vom vermuteten orientalischen Ursprung des ganzen Stoffes, andrer-
seits auch nach ihm zu verbinden ist mit dem eben erwähnten
Terminus post quem der römischen Kreuzigung, wird man Rohdes
„schwerlich sehr viel älter“ nicht auf die erste Kaiserzeit allein
deuten müssen. Gibt nicht vielleicht der bei Petron 115, 5 und
113, 2 vorkommende Ausdruck imperator provinciae bzw. imperator
allein etwas aus? Daß man den Proprätor oder Prokonsul als Statt-
halter mit imperator provinciae bezeichnet, scheint für die Zeit nach
Augustus auffallend, weniger aber für die spätere republikanische
Epoche.3 So darf man vielleicht annehmen, daß Petron die Formu-
lierung seiner Vorlage, seiner lateinischen Quelle republikanischer
Zeit beibehält, und das wird dann Sisennas Übersetzung von Aristides
Μιλησιακά gewesen sein. Auch der Zusatz (hypogaeo) Graeco more
ist verständlicher bei einer Quelle aus den ersten Zeiten der Provincia
Asia; in neronischer Zeit ihn erst einzuführen, wäre kaum erforder-
lich gewesen.
1 Dilthey, Callim. Cydipp. 102 A.; v. Wilamowitz, Griech. Lit.3 * 186; Lucas,
Philol. 66, 1907, 16f.; Christ-Schmid II6, 481; Hausrath, N. Jahrb. 33, 1914, 452;
Rosenblüth, Beitr. z. Quellenk. v. Petrons Sat. 64; Gemoll, Apophthegma 93. 116;
Norden, Röm. Lit.3, 76; Ernout, Ausgabe, p. XIV; Morelli, Stud. Ital. N. S. 1,
1920, 99; Aly, Neue Jahrb. f. Wissenschaft u. Jugendbildung 1 (1925) 198.
2 Le Satyricon et ses origines (1921) 98.
3 Zur Terminologie Rosenberg, RE. IX, 1142 und 1144. Die von Burmann
zitierten Stellen Sallust Jug. 24, 7 und'Cicero, pro Quinct. 7, 28 geben keine genaue
Entsprechung; am nächsten steht noch Cic. in Pis. 16, 38: Piso wurde vulturius
illius provinciae . . . imperator genannt.