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Weinreich, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 7. Abhandlung): Fabel, Aretalogie, Novelle: Beiträge zu Phädrus, Petron, Martial und Apuleius — Heidelberg, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.40158#0056
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56

Otto Weinreich:

Doch wie dem auch sein mag, darüber herrscht Einigkeit:
Petron ist nicht der Erfinder der Novelle gewesen. Jedoch Thieles
Auffassung über die Vorlage kann ich nicht teilen, finde auch nicht,
daß ihr jemand sich anschloß. Er setzt als gemeinsame Quelle für
Phädrus und Petron S. 366 hellenistische Sammlungen von dürren
argumenta und exempla an, in die Phädrus kein Leben zu bringen
verstand. „Mit Staunen sehen wir dann, was ein Künstler wie
Petron aus einem dürren Argumentum machen konnte“; ebenso 368:
Petron hat ein altes argumentum übernommen, keine βιωτική διήγησις.
Das scheint mir gänzlich unvereinbar mit dem, was wir von Petrons
literarischer Plaltung und Literaturbenutzung sonst erkennen können,
und erklärt sich wohl nur daraus, daß Thiele eben von Phädrus
und Romulus her die Frage angriff. Petron als Leser moralischer,
trockener exempla? Das hätte er sicher als ZeitverschWendung be-
trachtet. Es wird die Aufgabe meiner nachher folgenden Einzel-
analyse sein, die ursprüngliche Verwachsenheit Petrons mit der
Novellistik zu zeigen. Ihm lag, direkt oder schon durch eine latei-
nische Übertragung vermittelt, die späthellenistische Novelle vor,
vielleicht Aristides-Sisenna, wie ich eben andeutete. Phädrus da-
gegen und Romulus gehen auf eine Zwischenstufe zurück, und diese
hatte — so weit ist Thiele im Recht — die ursprüngliche Novelle
zum dürren, lehrhaften Exemplum gemacht. Es ist der gleiche Vor-
gang, den wir auch in spätmittelalterlichen und neuzeitlichen
Exempla- und Predigtsammlungen beobachten: genuine Novellen-
stoffe, selbst bedenklicher Art, werden da verwertet, weil sich ihnen
eine lehrhafte Moral entnehmen läßt.1
Wie Thiele schon sah und durch unsere genaue Motivanalyse
weiterhin bestätigt wird, kann Phädrus-Romulus aus Petron nicht
abgeleitet werden, Petron auch nicht auf Phädrus beruhen.2 Wegen
1 Beispiele in meinem Trug des Nektanebos 64ff. 77. 97.
2 Rein chronologisch können wir das Verhältnis von P. zu Ph. an sich nicht
eindeutig bestimmen. Hat Ph. vor Sejans Tod nicht publiziert (wie Havet, Helm,
vor allem Vollmer, Münch. Sitz.-Ber. 1919, V, 9ff. annehmen), fällt Buch I und II
kurz vor 50, III c. 50, IV; V später, dann kommt man der Abfassungszeit des
Satyricon (vor 66) so nahe, daß schon deshalb direkte Abhängigkeit unwahrschein-
lich wird. Aber auch wer für Frühdatierung von Ph. I/II eintritt (gegen Vollmer
vgl. Prinz, Wien. Stud. 43, 1922/23, S. 63 ff.; zweifelnd Levy, vgl. Draheim,
Bursians Jahresber. 204, 224), gewinnt für die späteren Bücher doch kein Kriterium.
— Ganz unklar ist die Bemerkung von Alice Brenot in ihrer Ph.-Ausgabe: Ce
conte a faxt fortune; il a ete dtveloppe par Apulee (das ist wohl lapsus calami für
Petron). Versteht sie unter conte den Stoff als solchen oder die Gestaltung durch Ph.?
 
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