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Brinkmann, Carl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 3. Abhandlung): Der Nationalismus und die deutschen Universitäten im Zeitalter der deutschen Erhebung — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40161#0073
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Der Nationalismus und die deutschen Universitäten.

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des späteren 19. Jahrhunderts das „Gehen ins Volk“ nannte. Ein-
zelne Strophen von Karl Follens „Großem Lied“ konnten im
Volk geradezu als „Odenwälder Bauernlied“ bezeichnet werden138.
Die auf diese Fragen hin noch niemals untersuchten Listen der ab-
geurteilten oder steckbrieflich verfolgten „Demagogen139“ enthalten
eine von Jahr zu Jahr immer stärkere Mischung der „intellektuel-
len“ Studenten und Beamten mit Handwerksgesellen und Klein-
unternehmern. Die rote Fahne, die als ältestes Kriegssymbol der
Germanen140 bereits am Anfang der Freiheitskriege ein Lieblings-
symbol der Burschenschaft141 geworden war, fing unmerklich an
einen bürg er kriegerisch-revolutionären Sinn anzunehmen, und
wer weiß ob es nicht mit einer altslavischen142, heute zu einem
Weltgegensatz gewordenen Farbensprache zusammenhing, wenn
die „schwarzen“ Burschenschaften als Vertreter des arbeitenden
Volkes den aristokratisch „weißen“ Landsmannschaften gegenüber-
standen. Nicht mit Unrecht konnte jetzt die von Gentz verfaßte
österreichische Präsidialbegründung zu den Karlsbader Bundes-
beschlüssen von 1819 die deutschen Universitäten und Studenten,
die noch 1815 ein Ascher als Gegner des internationalen Rechts-
staats- und Völkerrechtsgedankens denunziert hatte, anklagen, sie
hätten „das Phantom, einer sogenannten weltbürgerlichen Bildung
verfolgt“ und den „Anspruch, die gesellschaftliche Ordnung nach
eigenen unversuchten Systemen umzuschaffen, erzeugt143“.
Wie kurzsichtig und unrealistisch sind doch in Gegenwart so
vieler unzweideutiger Zeugnisse die Ansichten noch der neuesten
Forschung über die Demagogenzeit, die leider vielfach mit allen
ihren Schwierigkeiten als „Episode“ den unzulänglichen Kräften
von (noch so begabten) Anfängern überlassen wurde: Karl Follen
„als typisch für sein Zeitalter bezeichnen und davon auf eine revo-

138 Haupt, K. Follen 136.
139 Im Anhang zu Ilse, Gesell, der politischen Untersuchungen. Über
die spätere Entwicklung dieses Dualismus jetzt 0. Brugger, Gesch. der
deutschen Handwerkervereine in der Schweiz 1836—43 (Bern-—Lpz. 1932).
140 S. jetzt Herbert Meyer in Zeitschr. der Savigny-Stiftung G. A. 50
(1930), 31011'. und Göttinger Nachrichten, 1931, S. 9511.
141 Stammbuchblatt v. 13. März 1813 bei Haupt, Quellen u. Darst. 1, 25:
„Deutschlands Fahne, so blutig, so rot, Mahnet uns nimmer zu scheuen den
Tod“.
142 Über die enge Verbindung der russischen Dekabristen mit dem Westen
vgl. meine Sturdza-Studie Hist. Zeitschr. 120 (1920), 841.
143 Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 8, 272.
 
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