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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0009
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Jungfrauensohn und Krippenkind.

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Bannes. So ist schon die Benennung des Knaben durch die Mutter
ein Wunder und wird als solches durch das Staunen der Sippen
hervorgehoben (Luk. 1, 61). Wenn dann der Vater gefragt wird,
so geschieht ein Doppelwunder: er schlägt den gleichen Namen vor
wie die Mutter und wird zugleich von der Stummheit befreit: „er
verlangte eine Schreibtafel, schrieb und sprach zugleich: Johannes
ist sein Name. Da staunten sie alle.“ Eine verbreitete Inter-
pretation will allerdings das Wunder der Heilung erst im folgenden
Verse lesen (1,64): „alsbald ward erschlossen sein Mund und seine
Zunge, und er redete Gottes Preis.“ Aber dieser Vers soll nur be-
stätigen, daß Zacharias nun wirklich geheilt, nicht nur für den
Augenblick entfesselt ist. Man trifft, scheint mir, den Sinn der
Legende besser mit der Behauptung, daß des Befreiten erstes Wort
der wunderbar gefundene Name des Sohnes sein müsse. Eine Art
Parallele, die zum mindesten den Legendenstil anschaulich macht,
findet sich in einem der Heilungsberichte aus dem Asklepiostempel
zu Epidauros, Inscr. Graec. IV 951 = Dittenberger Sylloge2
1168, Zeile 42ff. Der Vater eines stummen Knaben wird vom Opfer-
diener gefragt, ob er binnen Jahresfrist nach der Heilung das schul-
dige Opfer darbringen wolle. Da gibt der Stumme selbst die Ant-
wort „ich gelobe es“. Der Vater, außer sich, heißt ihn noch einmal
reden; „da redete er wieder und ward von Stund an geheilt1.“
Auch hier ist, wie bei Lukas, zunächst das Wort berichtet, das der
Stumme in die Situation hineinspricht2,.dann das Erstaunen des
oder der anderen, und erst in einem, weiteren Satz das Faktum der
endgültigen Heilung.
Den Inhalt dieser Szene bilden also zwei Motive: die göttliche
Bestimmtheit des Namens und die Lösung des Zacharias von seiner
Strafe. Jedes dieser Motive weist nach rückwärts, in die Szene,
da der Name genannt, der Strafbann verhängt wurde. Beide Szenen
fügen sich also zu einer Einheit zusammen, die ganz sinnenfällig
wird, wenn wir alles Christliche, das zwischen ihnen steht, entfernen.
Dann wird nach der Tempelszene Lk. 1, 5—22 nur das Notwendige
1 [ό δέ παΐς έξ]απίνας 'υποδέχομαι’ εφα· δ δέ πατήρ έκπλαγείς πάλιν [έκέλετο
αύ]τδν είπεΐν· ό δ’έλεγε πάλιν καί έκ τούτου υγιής έγέ[νετο].
2 Der Zug, daß die Lösung des Banns zuerst unter dem Zwang einer
bestimmten Situation erfolgt, findet sich auch bei einem Blinden auf der
dritten Epidauros-Stele (G 135 bei Herzog, Wunderheilungen von Epidauros,
Philologus Suppt 22, 3): er hat seine Salbflasche verloren, sucht sie nach der
Weisung des Gottes und vermag sie plötzlich zu sehen. Von Stund an ist er
gesund.
 
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