Metadaten

Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0010
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
10

Martin Dibelius:

kurz erzählt: Heimkehr des Zacharias, Empfängnis der Elisabeth,
Verborgenheit der betagten Schwangeren aus begreiflichen Gründen
bis zur Entbindung; daran schließt sich unmittelbar, aber auch nur
in zwei Versen berichtet (1, 57f.), die Geburt des Johannes. Und
nun mündet alles in die Szene der wunderbaren Namengebung (Lk. 1,
59—66), die aber in sich kein selbständiges Leben hat, sondern nur
die Lösung der Spannungen bringt, die mit der Verkündigungs-
szene anhoben. Sie gehört also mit dieser unabtrennbar zusammen.
Die ganze ,,Vorgeschichte“ des Johannes besteht also im wesent-
lichen aus der Tempelverheißung und ihrer Erfüllung bei der Namen-
gebung. Diese Legende ist, wie deutlich geworden sein wird, ein-
heitlich und nach Form und Art jüdisch. Alle christlichen
Gedanken über den Täufer fehlen. Die Legende stammt also von
jüdischen Verehrern des Johannes, d. h. aus Kreisen der
Täuferbewegung seihst. Sie ist dann wohl ursprünglich ara-
mäisch überliefert worden; ihr semitigiefender Sprachcharakter
erklärt sich also nicht aus Imitation, sondern aus Herkunft. Daß
die Legende den heiligen Mann, nicht den Urheber der Taufe dar-
stellt, darf nicht befremden; Kindheitslegenden bewegen sich häufig
in allgemeinen Andeutungen über die künftige Größe ihres Helden.
Es ist unmöglich und auch unwichtig festzustellen, was in
dieser Legende an geschichtlich zuverlässigen Nachrichten enthalten
ist. Denn angesichts einer solchen Legende erscheint jeder dahin-
zielende Versuch in gleichem Maße unmethodisch: sowohl die kri-
tische Reduktion auf die wunderlosen Bestandteile der Legende,
wie die unkritische Übertragung alles Erzählten in die Geschichte,
wie endlich die radikale Leugnung der Möglichkeit, daß bestimmte
Nachrichten über die Herkunft des Täufers zuverlässig sein
könnten. Die Legende will ja nicht alte Nachrichten weitergeben,
sondern die Verehrung des Täufers und seines Werkes fördern, in-
dem sie von dem ungeborenen Kinde Außerordentliches berichtet.
Sie tut das in der Form des Wunders, das ihr und ihren Hörern die
angemessene Erscheinungsform zur Darstellung besonderer gött-
licher Fürsorge ist. Das Wunder ist so sehr die Hauptsache, daß
man es nicht aus der Legende auslösen darf. Ob andere Elemente
der Erzählung aus der Tradition oder aus der Erzählergewohnheit
oder aus der Phantasie stammen, können wir in Ermanglung von
Kriterien nicht entscheiden. Keinesfalls würde der Sinn der Le-
gende durch solche Feststellungen berührt, dieser Sinn, der auf die
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften