Jungfrauensohn nnd Krippenkind.
11
gottgewollte Bestimmung des Täufers zielt und sich in der Frage
ausdrückt, mit der die Legende Hörer und Leser entläßt: „Was wird
aus diesem Kinde werden ?“
II.
Die „Vorgeschichte Jesu“, die nun von ihrer Verflechtung mit
der Johannesgeschichte befreit ist, läßt sich nicht wie diese auf
eine einzige Legende zurückführen. Verkündigung und Geburt sind
nicht wie dort durch den Faden der Erzählung verbunden, sondern
die Geschichten stehen selbständig und eigenwertig nebeneinander.
Wie fremd sie einander offenbar sind, ist an drei Punkten deutlich
zu erkennen. Vor allem werden in der Geburtserzählung, der
sogenannten Weihnachtsgeschichte, Lk. 2, 4. 5 Josef und Maria
nach Namen, Heimat und Herkunft neu eingeführt, als ob noch
nicht von ihnen die Rede gewesen wäre. Dabei waren Maria, Naza-
reth, Josef und das Davidshaus bereits Lk. 1, 26. 27 genannt! Bei
der Einführung der Eltern in der Weihnachtsgeschichte zeigt sich
die zweite Unstimmigkeit. Josef und Maria erscheinen hier als
Eltern im vollen Sinn des Wortes: Mann und Weib, gemeinsam
wandernd und gemeinsam, wohnend, die junge Frau gesegneten
Leibes, am Ziel der Wanderschaft niederkommend — alles wird
erzählt, als handele es sich um die aller Orten geschehenden natür-
lichen Vorgänge. Und doch weissagt die Verkündigungsgeschichte
die jungfräuliche Geburt! Warum wird das in Lk. 2 in keiner Weise
angedeutet, weder in den Worten des Engels noch bei der Erwäh-
nung der Schwangerschaft1 ? Die dritte Spannung zwischen beiden
Erzählungen zeigt sich, wenn man die Worte miteinander vergleicht,
in denen Lk. 1, 31—33 und Lk. 2, 11. 12 das Erlöserkind beschrieben
wird: dort der ewige Herrscher auf dem Thron Davids, hier der
Heiland, dessen Geburt Freude dem ganzen Volk bedeutet — Macht
dort, Heil hier! Von den beiden so verschieden gearteten Erzäh-
lungen will jede die Geburt des Heilands verkünden; nur weist die
Profetie der einen auf die nahe Zukunft, die Offenbarung der
anderen auf gegenwärtiges Geschehen. Und jede vertritt ihr eigenes
Messiasbild. Beide Erzählungen sind also eigentlich Konkur-
renten, die nichts miteinander zu tun haben.
Sie ergänzen einander auch keineswegs. Denn die Fortsetzung
der Verkündigungsgeschichte, der Bericht über die Empfängnis
1 Man vergl. Mt. 1, 18 εύρέθη έν γαστρί έχουσα εκ πνεύματος άγιου mit
Lk. 2, 5 ούστ) έγκύω. Warum steht bei Lukas nicht ein ähnlicher Ausdruck?
11
gottgewollte Bestimmung des Täufers zielt und sich in der Frage
ausdrückt, mit der die Legende Hörer und Leser entläßt: „Was wird
aus diesem Kinde werden ?“
II.
Die „Vorgeschichte Jesu“, die nun von ihrer Verflechtung mit
der Johannesgeschichte befreit ist, läßt sich nicht wie diese auf
eine einzige Legende zurückführen. Verkündigung und Geburt sind
nicht wie dort durch den Faden der Erzählung verbunden, sondern
die Geschichten stehen selbständig und eigenwertig nebeneinander.
Wie fremd sie einander offenbar sind, ist an drei Punkten deutlich
zu erkennen. Vor allem werden in der Geburtserzählung, der
sogenannten Weihnachtsgeschichte, Lk. 2, 4. 5 Josef und Maria
nach Namen, Heimat und Herkunft neu eingeführt, als ob noch
nicht von ihnen die Rede gewesen wäre. Dabei waren Maria, Naza-
reth, Josef und das Davidshaus bereits Lk. 1, 26. 27 genannt! Bei
der Einführung der Eltern in der Weihnachtsgeschichte zeigt sich
die zweite Unstimmigkeit. Josef und Maria erscheinen hier als
Eltern im vollen Sinn des Wortes: Mann und Weib, gemeinsam
wandernd und gemeinsam, wohnend, die junge Frau gesegneten
Leibes, am Ziel der Wanderschaft niederkommend — alles wird
erzählt, als handele es sich um die aller Orten geschehenden natür-
lichen Vorgänge. Und doch weissagt die Verkündigungsgeschichte
die jungfräuliche Geburt! Warum wird das in Lk. 2 in keiner Weise
angedeutet, weder in den Worten des Engels noch bei der Erwäh-
nung der Schwangerschaft1 ? Die dritte Spannung zwischen beiden
Erzählungen zeigt sich, wenn man die Worte miteinander vergleicht,
in denen Lk. 1, 31—33 und Lk. 2, 11. 12 das Erlöserkind beschrieben
wird: dort der ewige Herrscher auf dem Thron Davids, hier der
Heiland, dessen Geburt Freude dem ganzen Volk bedeutet — Macht
dort, Heil hier! Von den beiden so verschieden gearteten Erzäh-
lungen will jede die Geburt des Heilands verkünden; nur weist die
Profetie der einen auf die nahe Zukunft, die Offenbarung der
anderen auf gegenwärtiges Geschehen. Und jede vertritt ihr eigenes
Messiasbild. Beide Erzählungen sind also eigentlich Konkur-
renten, die nichts miteinander zu tun haben.
Sie ergänzen einander auch keineswegs. Denn die Fortsetzung
der Verkündigungsgeschichte, der Bericht über die Empfängnis
1 Man vergl. Mt. 1, 18 εύρέθη έν γαστρί έχουσα εκ πνεύματος άγιου mit
Lk. 2, 5 ούστ) έγκύω. Warum steht bei Lukas nicht ein ähnlicher Ausdruck?