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Martin Dibelius:
oder die Heimführung durch Josef fehlt; und die Weihnachts-
geschichte macht, wie gezeigt, gar keine Voraussetzungen, kann
aber auch solche Voraussetzungen, wie sie die Verkündigung liefert,
gar nicht gebrauchen. Die Art der Marienverkündigung wird erst
recht deutlich, wenn man sie mit der Verheißung an Zacharias im
Tempel vergleicht: die Tempelszene weist (mit dem Strafzeichen)
über sich hinaus, sie bedarf der Rundung; die Marien Verkündigung
aber findet ihre Rundung mit Lk. 1, 38. Denn wenn Maria sagt:
„siehe, ich hin des Herren Magd; mir geschehe nach deinem Wort“,
dann weiß der Hörer und Leser, daß alles sich so erfüllt hat. Die
Geschichte ruht in sich selbst; sie hat ihre Mitte in den Worten
des Engels, die nicht, wie in der Johannesgeschichte mit der Stumm-
heit des Zacharias, ein neues Spannungsmoment einführen, sondern
das verkünden, was von Gott aus, also unabänderlich, geschieht.
Freilich ist von vornherein mit Eingriffen dessen zu rechnen,
der die Johannes- und die Jesus-Legende miteinander verband, also
wohl des Lukas. Deutlich sichtbar ist seine verbindende Arbeit in
der Terminangabe am Anfang der Verkündigung (Lk. 1, 26 έν δέ
τω μηνί τω εκτω), deren Seltsamkeit ich bereits dargetan habe.
Selbstverständlich ist auch das Wort des Engels Lk. 1, 36. 37 ein-
gefügt, das auf die bereits in den sechsten Monat währende Schwan-
gerschaft der Elisabeth hinweist. Es dient dem Zweck der Verbin-
dung zwischen Jesus und Johannes, stört aber erheblich den Zu-
sammenhang dieser Geschichte. Denn das demütig zustimmende
Wort der Maria 1, 38 muß unmittelbar auf die Ankündigung des
göttlichen Sohnes, darf nicht erst auf die Kunde von dem Wunder
an Elisabeth folgen.
Die Entfernung dieser Stellen erscheint selbstverständlich,
wenn man einmal eine Dekomposition der Vorgeschichte vornimmt.
Aber es ist die Frage, ob wir damit schon die selbständige Legende
wieder gewonnen haben. Es gibt noch einen Passus in ihrem Text,
der sie mit Lk. 2 verbindet; und es wäre zu fragen, ob er nur um
dieses Zweckes willen hier steht, also eingefügt ist: ich meine die
Erwähnung Josefs. ,,Da ward gesandt der Engel Gabriel von Gott
in eine Stadt Galiläas mit Namen Nazareth zu einer Jungfrau, die
verlobt war einem Manne mit Namen Josef aus dem Hause
Davids, und der Name der Jungfrau war Maria1“. Dieser Anfang
1 Lk. 1, 26. 27 άπεστάλη b άγγελος Γαβριήλ άπδ του θεοΰ εις πόλιν Γαλι-
λαίας ή δνομα Ναζαρέθ, προς παρθένον έμνηστευμένην (Variante μεμνηστευμένην)
άνδρί ώ δνομα Ιωσήφ έξ οικου Δαυίδ, καί το δνομα τής παρθένου Μαριάμ.
Martin Dibelius:
oder die Heimführung durch Josef fehlt; und die Weihnachts-
geschichte macht, wie gezeigt, gar keine Voraussetzungen, kann
aber auch solche Voraussetzungen, wie sie die Verkündigung liefert,
gar nicht gebrauchen. Die Art der Marienverkündigung wird erst
recht deutlich, wenn man sie mit der Verheißung an Zacharias im
Tempel vergleicht: die Tempelszene weist (mit dem Strafzeichen)
über sich hinaus, sie bedarf der Rundung; die Marien Verkündigung
aber findet ihre Rundung mit Lk. 1, 38. Denn wenn Maria sagt:
„siehe, ich hin des Herren Magd; mir geschehe nach deinem Wort“,
dann weiß der Hörer und Leser, daß alles sich so erfüllt hat. Die
Geschichte ruht in sich selbst; sie hat ihre Mitte in den Worten
des Engels, die nicht, wie in der Johannesgeschichte mit der Stumm-
heit des Zacharias, ein neues Spannungsmoment einführen, sondern
das verkünden, was von Gott aus, also unabänderlich, geschieht.
Freilich ist von vornherein mit Eingriffen dessen zu rechnen,
der die Johannes- und die Jesus-Legende miteinander verband, also
wohl des Lukas. Deutlich sichtbar ist seine verbindende Arbeit in
der Terminangabe am Anfang der Verkündigung (Lk. 1, 26 έν δέ
τω μηνί τω εκτω), deren Seltsamkeit ich bereits dargetan habe.
Selbstverständlich ist auch das Wort des Engels Lk. 1, 36. 37 ein-
gefügt, das auf die bereits in den sechsten Monat währende Schwan-
gerschaft der Elisabeth hinweist. Es dient dem Zweck der Verbin-
dung zwischen Jesus und Johannes, stört aber erheblich den Zu-
sammenhang dieser Geschichte. Denn das demütig zustimmende
Wort der Maria 1, 38 muß unmittelbar auf die Ankündigung des
göttlichen Sohnes, darf nicht erst auf die Kunde von dem Wunder
an Elisabeth folgen.
Die Entfernung dieser Stellen erscheint selbstverständlich,
wenn man einmal eine Dekomposition der Vorgeschichte vornimmt.
Aber es ist die Frage, ob wir damit schon die selbständige Legende
wieder gewonnen haben. Es gibt noch einen Passus in ihrem Text,
der sie mit Lk. 2 verbindet; und es wäre zu fragen, ob er nur um
dieses Zweckes willen hier steht, also eingefügt ist: ich meine die
Erwähnung Josefs. ,,Da ward gesandt der Engel Gabriel von Gott
in eine Stadt Galiläas mit Namen Nazareth zu einer Jungfrau, die
verlobt war einem Manne mit Namen Josef aus dem Hause
Davids, und der Name der Jungfrau war Maria1“. Dieser Anfang
1 Lk. 1, 26. 27 άπεστάλη b άγγελος Γαβριήλ άπδ του θεοΰ εις πόλιν Γαλι-
λαίας ή δνομα Ναζαρέθ, προς παρθένον έμνηστευμένην (Variante μεμνηστευμένην)
άνδρί ώ δνομα Ιωσήφ έξ οικου Δαυίδ, καί το δνομα τής παρθένου Μαριάμ.