Jungfrauensohn und Krippenkind.
15
Legende, sondern seine eigene Komposition zu sein; das erweist
ihr Inhalt wie ihre Erzählungsart1. Es braucht nicht erst begründet
zu werden, daß dieses Stück, Lk. 1, 39—56, nicht in den Zusammen-
hang der Johanneslegende gehört; denn hier ist ja die Überlegen-
heit Jesu zum Ausdruck gebracht, die wir dort vermißten. Aber
auch im Kreis der Jesusgeschichten ist das Stück nicht ursprüng-
lich. Es bildet nicht den Abschluß der Verkündigungsszene, denn
diese bedarf keines Abschlusses (s. oben S. llf.). Die Besuchsszene
bildet aber auch keine selbständige Jesusgeschichte; denn ihr fehlen
gewisse notwendige Züge des Erzählungsstiles, wie er bei solchen
Legenden vorauszusetzen ist. Der Anfang der Erzählung scheint
Wert auf geographische Angaben zu legen, verschweigt aber den
Namen der Stadt! Die Pointe der Geschichte soll offenbar darin
liegen, daß der ungeborene Johannes sich beim Gruß der Messias-
mutter freudig zu regen beginnt. Aber der Wortlaut dieses Grußes
wird verschwiegen! Man bedenke, wie anders der ,,englische Gruß“
1, 28 berichtet wird! Dieser Stil der Besuchsszene referiert mehr
als daß er erzählt; er läßt eher die Darstellung dessen spüren, auf
den die Komposition zurückgeht, als die Art ursprünglicher Ge-
schichtentradition. Man wird also dieses Stück dem bearbeitenden
Evangelisten zuschreiben müssen, wenn auch die Möglichkeit einer
älteren Grundlage nicht völlig abzustreiten ist2. Dann erklärt sich
auch die Existenz des Hymnus, mit dem die Szene wirkungsvoll
abschließt, des berühmten Magnificat.- Dieses Lied ist natürlich
eine Parallele zu dem 1, 68 folgenden Benedictus des Zacharias.
Beide sind als Lieder älterer Herkunft, sind aber vom Evangelisten
hier eingefügt, und wieder in der architektonischen Weise, die be-
1 Vgl. zum Folgenden Radermacher, Archiv für Religionswissenschaft,
1930, 38ff.; er erkennt die relative Inhaltslosigkeit der Szene sehr wohl, und
urteilt, daß sie nicht die Fortsetzung der Verkündigung durch den Engel
bilden kann. Er hält sie trotzdem für ein Überlieferungsstück, das nur eben
ein Konkurrent der Verkündigungsszene sei; denn es enthalte die Momente
der traditionellen Schilderung einer „Prophetie“. Aber mit solchen traditio-
nellen Motiven konnte auch Lukas arbeiten.
2 Bultmann, Gesell, der synoptischen Tradition2 322 findet ein An-
zeichen dieser alleren Geschichte: wenn 1, 39—45 des Lukas eigene Kom-
position wäre, ,,so müßte man eine Bezugnahme auf die von ihm eingefügten
Verse 36f. erwarten: Maria müßte konstatieren, daß das σημεΐον zutrifft“.
Allein diese Entsprechung ist dem Leser ohnedies deutlich. Bultmann stellt
eine Forderung, die bei einer wirklichen Legende zutreffen würde. Aber das
Stück zeigt auch sonst nicht den Stil einer Legende (s. oben) — und scheint
eben darum von Lukas zu stammen.
15
Legende, sondern seine eigene Komposition zu sein; das erweist
ihr Inhalt wie ihre Erzählungsart1. Es braucht nicht erst begründet
zu werden, daß dieses Stück, Lk. 1, 39—56, nicht in den Zusammen-
hang der Johanneslegende gehört; denn hier ist ja die Überlegen-
heit Jesu zum Ausdruck gebracht, die wir dort vermißten. Aber
auch im Kreis der Jesusgeschichten ist das Stück nicht ursprüng-
lich. Es bildet nicht den Abschluß der Verkündigungsszene, denn
diese bedarf keines Abschlusses (s. oben S. llf.). Die Besuchsszene
bildet aber auch keine selbständige Jesusgeschichte; denn ihr fehlen
gewisse notwendige Züge des Erzählungsstiles, wie er bei solchen
Legenden vorauszusetzen ist. Der Anfang der Erzählung scheint
Wert auf geographische Angaben zu legen, verschweigt aber den
Namen der Stadt! Die Pointe der Geschichte soll offenbar darin
liegen, daß der ungeborene Johannes sich beim Gruß der Messias-
mutter freudig zu regen beginnt. Aber der Wortlaut dieses Grußes
wird verschwiegen! Man bedenke, wie anders der ,,englische Gruß“
1, 28 berichtet wird! Dieser Stil der Besuchsszene referiert mehr
als daß er erzählt; er läßt eher die Darstellung dessen spüren, auf
den die Komposition zurückgeht, als die Art ursprünglicher Ge-
schichtentradition. Man wird also dieses Stück dem bearbeitenden
Evangelisten zuschreiben müssen, wenn auch die Möglichkeit einer
älteren Grundlage nicht völlig abzustreiten ist2. Dann erklärt sich
auch die Existenz des Hymnus, mit dem die Szene wirkungsvoll
abschließt, des berühmten Magnificat.- Dieses Lied ist natürlich
eine Parallele zu dem 1, 68 folgenden Benedictus des Zacharias.
Beide sind als Lieder älterer Herkunft, sind aber vom Evangelisten
hier eingefügt, und wieder in der architektonischen Weise, die be-
1 Vgl. zum Folgenden Radermacher, Archiv für Religionswissenschaft,
1930, 38ff.; er erkennt die relative Inhaltslosigkeit der Szene sehr wohl, und
urteilt, daß sie nicht die Fortsetzung der Verkündigung durch den Engel
bilden kann. Er hält sie trotzdem für ein Überlieferungsstück, das nur eben
ein Konkurrent der Verkündigungsszene sei; denn es enthalte die Momente
der traditionellen Schilderung einer „Prophetie“. Aber mit solchen traditio-
nellen Motiven konnte auch Lukas arbeiten.
2 Bultmann, Gesell, der synoptischen Tradition2 322 findet ein An-
zeichen dieser alleren Geschichte: wenn 1, 39—45 des Lukas eigene Kom-
position wäre, ,,so müßte man eine Bezugnahme auf die von ihm eingefügten
Verse 36f. erwarten: Maria müßte konstatieren, daß das σημεΐον zutrifft“.
Allein diese Entsprechung ist dem Leser ohnedies deutlich. Bultmann stellt
eine Forderung, die bei einer wirklichen Legende zutreffen würde. Aber das
Stück zeigt auch sonst nicht den Stil einer Legende (s. oben) — und scheint
eben darum von Lukas zu stammen.