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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0018
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18

Martin Dibelius:

Gottessohn, vorher ganz ohne nähere Bestimmung gebraucht, wird
nun bezogen auf die Erzeugung ohne Zutun des Mannes: das (auf
solche Weise, vom Heiligen Geist) erzeugte Heilige wird, weil es
solcherart gezeugt ward, Gottessohn heißen. Die göttliche Zeugung
ist es, nicht die Geburt, auf die es dem Erzähler ankommt.
Gerade dieses Neue in der zweiten Verheißung des Engels Luk.
1, 35 wird freilich von manchen Interpreten als so fremdartig emp-
funden, daß sie zur Ausscheidung auch dieser Verse raten, im ganzen
also Lk. 1, 34—37 als Interpolation betrachten1. Dafür ließe sich
anführen, daß hier die übliche Messiaserwartung in besonderer
Weise gefaßt und das übliche Messiasprädikat „Sohn Gottes“ in
besonderer Weise gedeutet werde. Es kann die Ursprünglichkeit
der Worte auch mit religionsgeschichtlichen Erwägungen ange-
fochten werden: in der ersten Verheißung werde der Bereich jüdi-
scher Gedanken nirgends überschritten, in der zweiten dagegen
mache sich die hellenistische Vorstellung von göttlich erzeugten
Göttersöhnen bemerkbar. Diese Beweisführung scheint mir nicht
stichhaltig. Daß Maria die Mutter des (in der üblichen Weise ge-
schilderten) Messias werden wird, wird ihr an einem (besonderen
und gar nicht „üblichen“) Zeichen dargetan: daran daß sie auf
wunderbare Weise empfängt, soll sie merken, daß ihr Kind ein
wunderbares, ein Gotteskind ist. Es wird also nicht ein neuer
Begriff der Gottessohnschaft zu dem alten gesellt; es wird viel-
mehr als Bürgschaft für das eine erst später erkennbare Wunder,
die Messianität, ein besonderes, früher feststellbares Wunder, die
Erzeugung aus dem Geist, genannt. Auch erkennt man beim Rück-
blick auf die ganze Geschichte von ihrem Ende aus, daß sie von
Anfang an auf die Jungfrauengeburt angelegt ist. Denn wenn Josef
und das Verlöbnis der Maria in der ursprünglichen Erzählung über-
haupt nicht erwähnt wurden, so zielt die Verheißung eines Sohnes
dir“ aut“ Grund der irrigen Beziehung von γεννώμενον auf die Geburt. Nach
Analogie von Mt. 1, 20 faßte und faßt man dann γεννώμενον, wie dort γεννηθέν,
als Substantivum und übersetzt: „das Erzeugte wird heilig (sein und) Sohn
Gottes heißen“. Bas ist aber syntaktisch schwierig, weil man eigentlich έσται.
καί ergänzen muß. Zudem ist die Heiligkeit des γεννώμενον, d. h. sein gött-
licher Ursprung, durch die vorhergehenden Worte festgestellt, kann also hier
vorausgesetzt und braucht nicht noch einmal ausgesagt zu werden; so emp-
fiehlt sich die Deutung „das erzeugte Heilige“. Endlich entscheidet zugunsten
dieser Übersetzung auch die rhythmische Entsprechung beider Satzhälften:
die Zäsur liegt zweifellos hinter άγιον, nicht hinter γεννώμενον.
1 Clemen, Religionsgeschichtliche Erklärung des Neuen Testaments2116;
Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition2 321.
 
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