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Martin Dibelius:
in verschiedener Form, die wunderbare Erzeugung Jesu den
Lesern zum Bewußtsein bringen.
Daß die Marien-Legende Lk. 1 dies beabsichtigt, sollte man
nicht bestreiten. Es ist ein Zeichen wissenschaftlicher Redlichkeit,
wenn man sich fragt, ob wir das Wunder nicht erst hineininter-
pretieren. „Gesetzt wir kennten die Matthäusgeschichte nicht“,
überlegt Katt^nbusch1, „würde dann nicht der erste Eindruck
sogar bei Luk. 1, 34b der sein, Maria sage, sie stehe ja gar (noch)
nicht in ehelichem Verkehr, und der Engel habe V. 31 gemeint,
das Natürliche sei 'selbstverständlich’ Vorbehalten ?“ Aber dieser
redliche Zweifel ist unberechtigt, und nur die vom Evangelisten
eingefügte Erwähnung des Josef am Anfang hat die Interpreten
auf die Bahn solcher Bedenken gelockt. Wenn die Erwähnung
Josefs nicht ursprünglich ist, hat die Frage der Maria und die Ant-
wort des Engels eindeutigen Sinn: dies Kind wird ohne Zutun
eines Mannes erzeugt. Wenn vollends der Anklang von Lk. 1, 31
an Jes. 7, 14 gewollt ist (s. oben), dann ist auch dies ein Beweis
für die Absicht des Autors, die auf das Wunder zielt. Endlich zeigt
auch ein Wort des Textes deutlich an, daß nicht die Geistbegabung
eines natürlich erzeugten Kindes gemeint ist, sondern seine über-
natürliche Erzeugung: es ist das vielumstrittene έπισκιάζειν Lk. 1,
35. Da es einerseits zu Mißverständnissen, andrerseits zu weit-
tragenden religionsgeschichtlichen Folgerungen Anlaß gegeben hat,
muß ich auf die Bedeutung dieses „Überschattens“ eingehen.
,,Δύναμις ύψι'στουΑνΐιχΙ dich überschatten“ — dies ist der Parallel-
satz zu dem vorhergehenden: „πνεύμα άγιον wird auf dich kom-
men“. Da offenbar nur ein Vorgang gemeint ist, der in dem üblichen
Parallelismus der Sätze zum Ausdruck gelangt, so dürfen wir eine
Aussage nach der anderen interpretieren. Die „Kraft des Höchsten“
hat also als Offenbarungsform Gottes zu gelten wie der „heilige
Geist“; es ist kein geläufiger Ausdruck des Alten Testamentes;
auch die unbedingt maskuline Auffassung des Geistes, der im Hebrä-
ischen mit dem Femininum mach bezeichnet wird, weist in eine
andere Welt. Und die Bevorzugung des Gottesnamens υψιστος, der
hier schon zum zweiten Male in dieser kurzen Legende begegnet,
deutet auf den Bereich der Septuaginta, also auf griechisches und
nicht auf palästinensisches Judentum. Auch έπέρχεσ-9-αι. wird in der
Septuaginta in ähnlicher Weise von Zorn, Geist, Ekstase gebraucht;
Act. 1, 8 gilt es vom heiligen Geist. Dazu steht an unserer Stelle
1 Kattenbusch, Theol. Stud. u. Krit., 1930, 463.
Martin Dibelius:
in verschiedener Form, die wunderbare Erzeugung Jesu den
Lesern zum Bewußtsein bringen.
Daß die Marien-Legende Lk. 1 dies beabsichtigt, sollte man
nicht bestreiten. Es ist ein Zeichen wissenschaftlicher Redlichkeit,
wenn man sich fragt, ob wir das Wunder nicht erst hineininter-
pretieren. „Gesetzt wir kennten die Matthäusgeschichte nicht“,
überlegt Katt^nbusch1, „würde dann nicht der erste Eindruck
sogar bei Luk. 1, 34b der sein, Maria sage, sie stehe ja gar (noch)
nicht in ehelichem Verkehr, und der Engel habe V. 31 gemeint,
das Natürliche sei 'selbstverständlich’ Vorbehalten ?“ Aber dieser
redliche Zweifel ist unberechtigt, und nur die vom Evangelisten
eingefügte Erwähnung des Josef am Anfang hat die Interpreten
auf die Bahn solcher Bedenken gelockt. Wenn die Erwähnung
Josefs nicht ursprünglich ist, hat die Frage der Maria und die Ant-
wort des Engels eindeutigen Sinn: dies Kind wird ohne Zutun
eines Mannes erzeugt. Wenn vollends der Anklang von Lk. 1, 31
an Jes. 7, 14 gewollt ist (s. oben), dann ist auch dies ein Beweis
für die Absicht des Autors, die auf das Wunder zielt. Endlich zeigt
auch ein Wort des Textes deutlich an, daß nicht die Geistbegabung
eines natürlich erzeugten Kindes gemeint ist, sondern seine über-
natürliche Erzeugung: es ist das vielumstrittene έπισκιάζειν Lk. 1,
35. Da es einerseits zu Mißverständnissen, andrerseits zu weit-
tragenden religionsgeschichtlichen Folgerungen Anlaß gegeben hat,
muß ich auf die Bedeutung dieses „Überschattens“ eingehen.
,,Δύναμις ύψι'στουΑνΐιχΙ dich überschatten“ — dies ist der Parallel-
satz zu dem vorhergehenden: „πνεύμα άγιον wird auf dich kom-
men“. Da offenbar nur ein Vorgang gemeint ist, der in dem üblichen
Parallelismus der Sätze zum Ausdruck gelangt, so dürfen wir eine
Aussage nach der anderen interpretieren. Die „Kraft des Höchsten“
hat also als Offenbarungsform Gottes zu gelten wie der „heilige
Geist“; es ist kein geläufiger Ausdruck des Alten Testamentes;
auch die unbedingt maskuline Auffassung des Geistes, der im Hebrä-
ischen mit dem Femininum mach bezeichnet wird, weist in eine
andere Welt. Und die Bevorzugung des Gottesnamens υψιστος, der
hier schon zum zweiten Male in dieser kurzen Legende begegnet,
deutet auf den Bereich der Septuaginta, also auf griechisches und
nicht auf palästinensisches Judentum. Auch έπέρχεσ-9-αι. wird in der
Septuaginta in ähnlicher Weise von Zorn, Geist, Ekstase gebraucht;
Act. 1, 8 gilt es vom heiligen Geist. Dazu steht an unserer Stelle
1 Kattenbusch, Theol. Stud. u. Krit., 1930, 463.