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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0022
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22

Martin Dibelius:

Dieses Urteil gilt auch von einer durch Leisegang* 1 zur Dis-
kussion gestellten Interpretation; deren kritische Erörterung ist
darum von Bedeutung, weil sie, wenn sie erwiesen wäre, als den
religionsgeschichtlichen Ort der ganzen Vorstellung eindeutig die
hellenistische Mystik erweisen würde. Leisegang knüpft an den
bekannten Gedanken dieser Mystik an, daß der Menschengeist ver-
dunkelt oder ausgeschaltet werden muß, wenn der Gottesgeist über
ihn kommt; Göttliches und Sterbliches dürfen ja nicht zusammen
hausen2! Philo trägt diesen Gedanken mehrfach vor, und einmal
gebraucht er dabei das Wort επισκιάζει. Er deutet Quod deus
sit immutabilis 3 p. 273 die Engelehen aus Gen. 6 auf die (geschlecht-
liche) Vereinigung böser πνεύματα, der ψευδαγγελοΰντες, mit den
πάθη, die er im Anschluß an jene alttestamentliche Erzählung
,,Töchter der Menschen“ nennt. Diese dämonische Vermählung
könne aber auch erst stattfinden, wenn das „Licht der Denkkraft
durch Verdunkelung überschattet (έ-ισκιασΕρ) sei“. Dann näm-
lich schleichen sich die „Genossen der Finsternis“ ein, verkehren
(geschlechtlich) mit den weichlichen (wörtlich: weibisch gewor-
denen) Leidenschaften — den „Töchtern der Menschen“ aus Gen. 6
— und zeugen mit ihnen für sich, nicht für Gott3. „Überschattet“
wird hier die Denkkraft, und die Folge ist die Befruchtung der
Leidenschaften, die nun von der Denkkraft nicht mehr gezähmt
werden. Auch sonst verwendet Philo das Wort „überschatten“ von
der Ausschaltung eines Seelenteils4. Es ließe sich also denken, daß
„Schattenbild“ in diesem Zusammenhang fruchtbar zu machen: die δύναμις
werde sich in Maria abschatten, aus ihr ein Wesen nach Gottes Bild zu schaffen
(Hehn, Bibi. Zeitschr., 1916, 147ff.). Ein solches Wesen wäre ja ein Mensch
und nicht der Gottessohn! — Allgeier (Bibi. Zeitschr. 1916, 338ff., Byzantin.-
neugriech. Jahrbücher 1920, 131 ff.) erwägt im Anschluß an Theophylakt die
Bedeutung „bedecken“, „brüten“ und erinnert an Gen. 1, 2. Aber Lk. 1, 35
handelt es sich nicht um das Beschützen des Erzeugten, sondern um die Er-
zeugung selbst!
1 Leisegang, Pneuma Iiagion, S. 25ff.
2 Besonders bezeichnend sind die Worte Philos Quisrerum divin. heres 265
τω δέ προφητικω γένει φιλεΐ τούτο συμβαίνειν· έξοικίζεται μεν γάρ έν ήμΐν δ νους κατά
την του θείου πνεύματος άφιξιν, κατά δέ τήν μετανάστασιν αύτοΰ πάλιν είσοικίζεται.
θέμις γάρ ούκ έστι θνητόν άθανάτω συνοικήσαι.
3 Philo Quod Deus sit immutabilis 3 p. 273 Μ. δταν δέ άμυδρωθέν
έπισκιασθή τό διανοίας φως, οί του σκότους εταίροι παρευημερήσαντες πάθεσι τοΐς
κατεαγόσι καί, τεθηλυμμένοις, άς θυγατέρας ε’ίρηκεν ανθρώπων, συνέρχονται και
γεννώσιν έαυτοΐς, ού τω θεω.
4 Vgl. ζ. Β. Legum allegoria II 30 ή τε του νοΰ έγρήγορσις άπραξία των
αισθήσεων .... δ νους έγρηγορώς μέν επισκιάζει ταις αίσθήσεσι. — De confusione
 
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