Metadaten

Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0023
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Jungfrauensohn und Krippenkind.

23

das Wort auch gebraucht werden könnte beim Empfang göttlichen
Geistes (wie an jener Stelle vom Einzug der dämonischen Geister):
daß also der Menschengeist „überschattet“ würde, um dem Gottes-
geist die Herrschaft im Menschen zu überlassen. Dann würde
έπισκιάζειν das Nahen eines pneumatischen Wesens und die da-
mit verbundene Ausschaltung des menschlichen Geistes bedeuten* 1.
Gegen die Anwendung dieser Vorstellung auf die Maria unserer
Legende spricht, so scheint mir, vor allem eines: die „Überschat-
tung“ der Maria kann nicht lediglich die Ausschaltung des Men-
schengeistes meinen, auf Grund deren dann die göttliche Zeugung
erfolgen könnte, sondern sie muß diese Zeugung selbst bedeuten
oder wenigstens andeuten. Mit der Vermählung und Zeugung hat
aber die „Überschattung“ der Denkkraft in jener Philo-Stelle nichts
unmittelbar zu tun. Diese Überschattung gewährt vielmehr nur
die Möglichkeit, daß die Gegenkräfte der διάνοια, die Leiden-
schaften, sich von den bösen Geistern begatten lassen. Eine ge-
schlechtliche Beziehung hat also das Verbum έπισκιάζειν
bei Philo, Quocl Deus sit immutabilis 3 ganz und gar nicht — das
muß allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz festgestellt
werden2. Dann können aber aus der Philo-Stelle auch keine re'li-
linguarum 60 wird das zweifache είδος τής κατά τήν ψυχήν άνατολής geschildert:
άμεινον μεν, δταν ηλιακών άκτίνοιν τρόπον άνασχή τό άρετών φέγγος, χείρον δ’,
δταν αί μεν έπισκιασθώσι, κακίαι δε άνάσχωσι. — De Josepho 49 δειναί γάρ αί
έπι-θυμίαι καί τάς άκριβεστάτας των αισθήσεων έπισκιάσαι.
1 Leisegang, Pneuma Iiagion, S. 28: ursprünglich.liege „die Vorstel-
lung vom Heranfliegen eines Geistwesens zugrunde, das mit seinen Flügeln
den Menschen überschattet“. Daraus entwickelt sich dann die „Bezeichnung
des Nahens eines pneumatischen Wesens überhaupt“; sie gewinnt in der
Mystik „noch die Nebenbedeutung einer durch das kommende πνεύμα ver-
ursachten Verdunkelung des menschlichen Verstandes“.
1 In der Tat scheint sich auf Grund der Darstellung Leisegangs ein
Mißverständnis von beträchtlicher Tragweite entwickelt zu haben. Leise-
gang schreibt, Pneuma Hagion, S. 26, daß έπισκιάζειν an der fraglichen
Philo-Stelle „gerade in der Verbindung mit dem Gedanken an die Zeugungs-
kraft der πνεύματα auftritt“. Und er folgert S. 28f. daraus: „gerade durch die
Wahl dieses Ausdrucks wird die Schilderung der pneumatischen Empfängnis
der Maria aufs engste mit den griechischen Vorstellungen vom Verkehr des
Menschen — und insbesondere der Frauen — mit der Geisterwelt verwoben“.
Das ist zum mindesten mißverständlich ausgedrückt. Denn auch wenn Leise-
gang recht hätte, würde έπισκιάζειν nur auf die Vorstellungen vom Verkehr
(d. h. der inspirierenden Verbindung) Gottes mit dem Menschen Bezug haben,
nicht aber auf den „Verkehr“ ;in diesem Zusammenhang: Geschlechtsverkehr)
der Geisterwelt mit den Frauen. — Norden, Die Geburt des Kindes, S. 93,
übernimmt den Gedanken Leisegangs, daß nach Lk. 1 von dem Überschattet-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften