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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0035
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Jungfrauensohn und Krippenkind.

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ein Ausdruck, der an sich nur das Eingreifen Gottes zu bezeichnen
brauchte, diese spezielle Bedeutung.
Die nunmehr aus Paulus und Philo gewonnene Vorstellung
beruht also weder auf einem Mythus von einem begnadenden Gott
noch auf einer Legende von der begnadeten Mutter noch auf einer
Allegorie noch — in ihrer Besonderheit — auf einer Exegese. Sie
ist ein Theologumenon des hellenistischen Judentums, das die aus-
schließliche Urheberschaft Gottes hei gewissen Geburten durch
fromme Frauen behauptete. Freilich könnte ein solches Theolo-
gumenon kaum gebildet und noch weniger verstanden worden sein,
wenn die Vorstellung von einem solchen Eingreifen Gottes bei der
Erzeugung eines Menschen völlig unbekannt gewesen, völlig ab-
wegig erschienen wäre. Man kannte gewiß im hellenistischen Juden-
tum jene Lehre, die uns in einem gelegentlichen Bef erat des Plu-
tarch als ägyptisch überliefert ist und die besagt, daß der Geist
eines Gottes sich einem sterblichen Weihe nähern und in ihr Keime
des Lehens zeugen könne1. Das ist nicht die in der antiken Welt
weit verbreitete Vorstellung von der Liehe Gottes zu einem sterb-
lichen Weihe; der Gedanke, daß Gott Liebhaber einer Frau sei,
wäre vom Judentum abgewiesen worden. Die fragliche ägyptische
Lehre hat sich vielmehr, wenn Plutarch recht hat, von jenen Theo-
gamie-Mythen deutlich unterschieden: erstlich, indem sie die „heid-
nische“ Umkehrung des Motivs ·— die Liehe einer Göttin zu einem
Sterblichen — verneinte; sodann indem sie nicht Gott, sondern
seinen „Geist“ dem Weihe nahen ließ und auch den Vorgang der
Zeugung nicht nach menschlicher Weise vorstellte2. Die Existenz
einer solchen Lehre in der Umgehung des hellenistischen Juden-
tums mag zur Gestaltung des Theologumenons von der göttlichen
Zeugung erheblich beigetragen haben.
Daß es solche differenziertere Vorstellungen von der Befruch-
tung begnadeter Mütter durch die Gottheit gegeben hat, scheinen
mir auch gewisse Heilungsberichte aus Epidauros zu beweisen3,
1 Plutarch, Numa 4, 6, p. 62 b καίτοι δοκοΰσιν ούκ άπιθάνως Αιγύπτιοι,
διαιρεΐν, ώς γυναικί μεν ούκ αδύνατον πνεύμα πλησιάσαι θεού καί τινας έντεκεΐν άρχάς
γενέσεως, άνδρί δ’ούκ έστι σύμμειξις προς θεόν ούδ5 ομιλία σώματος. Plutarch lehnt
die Lehre in den dann folgenden Worten ab. Vgl. Norden, Geburt des
Kindes, 7 7f.
2 Plutarch, Quaestiones convivales VIII 1, p. 718 b ούδέν οί'ομαι δεινόν,
ει μή πλησιάζων ό θεός ώσπερ άνθρωπος, άλλ5 έτέραις τισίν άφαΐς δι’ έτέρων καί
ψαύσεσι τρέπει καί ύποπίμπλησι θειοτέρας γονής τό θνητόν. Auch diese An-
schauung wird unter ausdrücklicher Berufung auf Ägypten vorgetragen.
3 Usener, Religionsgesch. Untersuchungen I2, 75, A. 18, hat anmer-

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