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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0039
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Jungfrauensohn und Krippenkind.

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etwa Ende des 1. Jahrhunderts, eine Legende von der Auferstehung
in gewissen Kreisen bereits erzählt habe, daß sie aber noch nicht
zu normativer Geltung gelangt sei.
Ein Beispiel dafür, daß eine weit verbreitete christologische
Überzeugung erst auffällig spät ihren Ausdruck in der Erzählung
findet, liefert die Geschichte des Descensus ad inferos, der Hades-
fahrt Christi. Die Behauptung, daß Jesus zwischen Tod und
Auferstehung im Totenreich geweilt habe, diese an sich selbst-
verständliche Behauptung wird im ältesten Christentum in doppelter
Beziehung ausgewertet. Einerseits verbindet sich mit ihr ein Motiv
der Theodizee: verstorbene Gerechte, oder die Toten überhaupt,
hören auf diese Weise die Heilspredigt und erhalten so die Möglich-
keit, Anteil zu haben am Heil. In diesem Zusammenhang ist die
Predigt an die Toten die Hauptsache, und I Petr. 4, 6 (und 3, 19 ?)
Ev. Petri 41. 42; Epistula apostolorum 27; Justin Dialogus 72, 4;
Marcion nach Irenaeus I 27, 3 sind die ältesten Zeugen für diese
Auffassung. Daneben geht eine andere, nicht ebenso deutlich sicht-
bare Linie: Christus hat im Hades die Toten (alle oder die Gerech-
ten) befreit, nicht indem er ihnen predigte, sondern indem er den
Tod für sich und damit auch für die anderen überwand. Diese,
offenbar einem nichtchristlichen Mythus entstammende Vorstellung
von dem Sieg Christi über den Herrscher des Totenreichs ist Apc. 1,
18 wahrscheinlich angedeutet, vielleicht auch Ignatius an dieMagne-
sier 9, 2 vorausgesetzt, sicher in den Oden Salomos Nr. 17. 22 und
42 besungen und von dem Apologeten Melito von Sardes (Über das
Tauchbad 4, S. 311 Goodspeed) wie von den Thomasakten (156,
S. 265) und den Thaddäusakten (Euseb. Η. E. I 13, 20) erwähnt1.
Trotz großer Verbreitung aber wird die Vorstellung von der Hades-
fahrt weder in der einen noch in der anderen Fassung in die Leidens-
und Ostergeschichte wirklich eingebaut. Auch hier ist von kanoni-
schen Zeugnissen höchstens wieder eine Anspielung bei Matthäus

1 Der Streit zwischen Bousset (Kyrios Ghristos2 26ff., Zeitschr. f. Neu-
test. Wiss. 1920, 50ff.) und Carl Schmidt (Gespräche Jesu mit seinen Jün-
gern2 453ff.) über die Hadesfahrt beruht zum Teil auf der irrigen Scheidung
zwischen farbigem Mythus und blassem Theologumenon. Bousset hat zweifel-
los recht mit der Behauptung zweier Vorstellungsreihen (s. oben) und mythi-
schen Ursprungs. Aber es läßt sich auch nicht leugnen, daß die Vorstellung
im Urchristentum zunächst als theologische Aussage verbreitet wird; nur ist
sie deswegen nicht eine bloße Gelehrtenspekulation, sondern, wie die Zeug-
nisse zeigen, ein auf mannigfache Weise verwendetes Stück des Gemeinde-
glaubens.
 
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