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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0040
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40

Martin Dibelius:

27, 52f. zu erwähnen: er läßt, als Wunderzeichen bei Jesu Tod,
die Gräber sich auftun und „entschlafene Heilige auferweckt“ wer-
den; er fügt aber auch hinzu, daß sie „nach seiner Auferstehung“
in die „heilige Stadt“ Jerusalem gekommen und vielen erschienen
seien. Darin liegt eine Andeutung, daß Jesus inzwischen im Hades
die Toten befreit hat; zugleich wird aber offenbar, daß man diese
geglaubte Tatsache in der Erzählung noch nicht unterzubringen
weiß. Die überlieferten Erzählungen von Jesus sind noch zu erd-
gebunden, als daß ein solcher außerhalb des irdischen Bereiches
zwischen übermenschlichen Personen spielender Vorgang wie die
Hadesfahrt unter ihnen Platz finden könnte. Die Rezeption des
Stoffes in der Erzählung vollzieht sich denn auch nur ganz all-
mählich. Im Petrusevangelium 41 f. steht nur ein mittelbarer Be-
richt; eine Himmelsstimme fragt den Auferstandenen, ob er den
Entschlafenen gepredigt habe. Die Antwort lautet: ja. In der
Ascensio Jesaiae ist 10, 8—14; 11, 19 wirklich, aber ganz kurz
berichtet, daß Jesus bis zum Engel im Totenreich (oder: der Unter-
welt) vordringt. Eine ausgeführte Darstellung aber findet sich erst
im Evangelium Nicodemi II (Descensus ad inferos; Tischendorf,
Evangelia apocrypha 323ff.). Hier erschallen die Worte aus Ps. 24,7
zum Einzug des „Königs der Ehren“ im Hades, die Tore und Riegel
zerbrechen vor ihm, die Fesseln der Toten lösen sich, Hades unter-
warft sich, Satan (nicht identisch mit Hades) wird gefesselt, Christus
führt Adam und alle Propheten und Heiligen, nachdem er ihre
Stirn mit dem Kreuz gezeichnet hat, ans dem Hades ins Paradies.
Das ist die feierliche Darstellung, die dann die Malerei und die
Dichtung (bis zu Goethes Jugendgedicht) beeinflußt hat. Aber
der Weg vom Theologumenon bis zu solcher mythischen Schilde-
rung ist erst ganz allmählich zurückgelegt werden.
Diese Analogien lassen es als glaublich erscheinen, daß auch
die göttliche Erzeugung Jesu zuerst gepredigt und geglaubt, und
danach erst berichtet wurde. Diese Predigt und dieser Glaube ent-
halten das Theologumenon, das, ursprünglich der Schriftbetrach-
tung des griechischen Judentums entstammend, im Christentum
doch bald — zwischen Paulusbriefen und Lukasevangelium — zu
weiter Verbreitung gelangt zu sein scheint. Die Verbreitung und
Popularisierung der Vorstellung konnte aber nicht vor sich gehen,
ohne daß die Behauptung in eine Erzählung eingekleidet wurde:
aus der Vorstellung wurde die Legende.
 
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