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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0048
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48

Martin Dibelius:

es wird auch ausdrücklich erwähnt, daß Philipp sein Weib gemieden
habe, nachdem er die Schlange gesehen, die der Königin beiwohnte1.
Und dieses Motiv, das so bezeichnend für die ganze Vorstellung
ist, das den sterblichen Vater zurücktreten läßt vor dem göttlichen,
das aber auch die Rechte des irdischen Vaters an seinem Weib
betont, findet sich auch bei Matthäus! Mt. 1, 25 καί ούκ έγΐ'νωσκεν
αύτήν έως ού έτεκεν υιόν — der Sinn des Satzes ist die Betonung
der Abstinenz des Vaters. Diese Abstinenz ist natürlich befristet
gedacht; das kommt zwar in dem Wortlaut nicht zu unmittel-
barem Ausdruck, ist aber sachlich klar, da sonst der Übergang
nicht mit έως ού hergestellt sein würde.
Hier ist also ein „heidnisches“ Motiv unmittelbar, ohne Ver-
mittlung des hellenistischen Judentums, in den Erzählungsstoff der
Evangelien übergegangen. Das ist nicht verwunderlich. Es hat
sich aus der Analyse ergeben, daß die erste Vorstellung von der
göttlichen Erzeugung als Theologumenon aus der Gedankenwelt
dieses Judentums entstanden ist, und daß auch das Motiv der Jung-
frau, wahrscheinlich „heidnischen“ Ursprungs, dem christlichen
Erzähler aus diesem Judentum zukam. In der Verkündigungs-
legende ist der Vorgang der Zeugung nur mittelbar dargestellt; der
Verfasser spricht von ihm unendlich keusch und zurückhaltend in
der Wahl der Worte, mehr andeutend als beschreibend. Trotzdem
läßt sich der Gedanke nicht abweisen, daß die Hörer und Leser
dieser Legende solche Andeutungen mythologisch verstanden und
dabei mehr und anderes assoziierten, als in der Legende gesagt war.
Der Gedanke von der Erzeugung aus dem Geist, wie ihn Paulus,

1 Plutarch, a. a. O. 2, 4 καί τούτο (daß Philipp eine Schlange neben der
schlafenden Olympias gesehen hat) μάλιστα του Φιλίππου τον έρωτα καί τάς
φιλοφροσύναςάμαυρωσαιλέγουσιν,ώςμηδέ φοιτάν έτιπολλάκιςπαρ’ αύτήν άναπαυσόμενον,
εΐτε δείσαντά τινας μαγείας επ’ αύτω καί φάρμακα τής γυναικός είτε την ομιλίαν ώς
κρείττονι συνούσης άφοσιούμενον. Dieser Bericht mit seinen zwei Möglichkeiten ist
rationalisiert; die letzte Möglichkeit ist die der Sage: Philipp wagt nicht, sich
dem Gott als Nebenbuhler zu stellen. Auch die hier und bei Tertullian sich
findende Angabe, daß der Schoß der Olympias durch ein Siegel mit einem
Löwen verschlossen gewesen sei, bezeugt die Rivalität von Mensch und Gott.
— Weitere Beispiele für göttliche Erzeugung, nur ohne Erwähnung der Ent-
haltung von seiten des irdischen Vaters: Seleukos I. Nikator, Scipio Africanus
Maior, Augustus u. a., s. Usener, Religionsgeschichtl. Untersuchungen I2 71 ff.
Wichtig ist für unsern Zusammenhang, daß Simon Magus ausdrücklich die
Jungfrauschaft seiner Mutter betont: ante enim quam mater mea Rachel con-
veniret cum eo, adhuc virgo concepit me (Ps. Clemens Recognit. II 14). Vgl.
zum Ganzen Fehrle, Die kultische Keuschheit im Altertum 22f.
 
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