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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0056
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56

Martin Dibelius:

durch den Engelchor. Was vorangeht, bereitet jenes Zeichen vor;
was folgt, bildet Ausklang und Folge der Verkündigungsszene. Die
Erzählung gipfelt also in der wunderbaren Kundmachung von des
Kindes Geburt und Art an die Hirten; sie gelangt zu ihrem natür-
lichen Abschluß dadurch, daß diese das Kind finden und nun er-
zählen, was si-e von ihm erfahren haben. Und zwar gilt dieser Be-
richt offenbar nicht der Stadt Bethlehem, sondern denen, die sich
in der Nähe des Kindes aufhalten, auch seinen Eltern. Denn V. 17 f.
heißt: „Als sie es sahen, berichteten sie, was ihnen von diesem
Kinde verkündet war, und alle, die es hörten, staunten ob der Rede
der Hirten“. Wenn dann aber unmittelbar folgt: „Maria aber be-
hielt alle diese Worte und bedachte sie in ihrem Herzen1“, so spielt
die Szene augenscheinlich noch an der Krippe, und die πάντες, denen
Maria gegenübergestellt ist, sind alle, die sich in der Unterkunft
befinden. Was von Maria gesagt wird, hat seinen vollen Sinn nur
dann, wenn sie genau wie die anderen etwas Neues vernommen hat;
nur wirkt das Wort auf sie anders als auf die andern, so daß sie
nicht staunt, sondern still darüber sinnt- Wenn aber Maria erst
jetzt von der wunderbaren Art ihres Kindes erfährt, so ist keine
Engelsbotschaft an Maria vorausgegangen.
Diese Selbständigkeit der Erzählung erweist auch ihr Anfang.
Josef aus Davids Stamm und Maria werden eingeführt. Sie wan-
dern und wohnen miteinander, Maria gebiert ihren ersten Sohn -
kein Leser denkt an anderes als an eine Ehe. Dazwischen steht
aber Lk. 2, 5 die Bezeichnung der Maria als der Verlobten Josefs:
συν Μαριάμ τη έμνηστευμένη αύτω. Das kann nur besagen, daß die
Heimführung noch nicht erfolgt, die Ehe noch nicht vollzogen ist.
Dem ersten widerspricht die gemeinsame Reise, dem zweiten die
Schwangerschaft (Lk. 2, 5), die mit keinem Wort als eine außer-
ordentliche, nicht von dem Gatten verursachte, gekennzeichnet ist.
Es ist verständlich, daß Textvarianten vorhanden sind: der sog.
Koinetext bietet „verlobtes Weib“ (τη μεμνηστευμένη αύτω γυναοά),
der alte Sinai-Syrer und einige Altlateiner „sein Weib“. Aber die
besten ägyptischen Zeugen reden von der Verlobten, und ihre
Stimme fällt um so mehr ins Gewicht, als sich die beiden anderen
Lesarten aus dem Text τή έμνηστευμένη αύτω ableiten lassen. Und
wenn der Sinai-Syrer „Verlobte“ durch „Weib“ ersetzt, so folgt
er der auch sonst von ihm vertretenen Tendenz, die Ehelichkeit
1 Diese Worte sind, wie mir scheint, vom Evangelisten Lk. 2, 51 nach-
gebildet worden.
 
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