Jungfrauensohn und Krippenkind.
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Auf die Darstellung des Zeichens folgt der Lobgesang der Engel,
kein Wunsch —■ Gott möge verherrlicht werden —, sondern eine
„messianische Akklamation1“. In der Apokalypse des Johannes
singt der himmlische Chor: „Heil und Preis und Macht ist unseres
Gottes“ (19, 1. 2) und verkündet diesen immerwährenden Zustand,
weil ein bestimmtes Ereignis eingetreten ist, das Gericht über die
„große Hure“. So wird auch hier die immer geschehende Verherr-
lichung Gottes in Himmelshöhn neu verkündet, weil der Heiland
geboren ist. Auf Erden ist damit Neues und Großes eingetreten:
ειρήνη unter Menschen des Wohlgefallens. Wieder fühlt man sich
an Herrscherinschriften erinnert, dieAugustus als den σωτήρ feiern,
der den Krieg beendet2, unter dessen πρόνοια Land und Meer
Frieden genießen3. Aber so verlockend die Parallele ist, so muß
doch auch hier die Interpretation eingeschränkt werden: es ist nicht
die Rede von Krieg und Streit, die beendet sind, sondern von etwas,
das Gott unter den άνθρωποι εύδοκίας zur Verwirklichung bringt ;
und in diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß ειρήνη
als Ersatzwort für das hebräische schalom auch „Heil“ bedeutet
und in einer messianischen Verkündigung an das friedliche Gottes-
volk (nicht an eine krieghelastete Welt) füglich bedeuten muß4. Daß
άνθρωποι εύδοκίας die Menschen heißen, an denen Gott sein Wohl-
gefallen hat, daß der Ausdruck also als Wiedergabe des hebräischen
ansche oder bne razon zu verstehen und nicht auf menschlichen
guten Willen zu beziehen ist, haben Strack-Billerbeck und Jo-
1 Für diesen Ausdruck s. die Kommentare von Loisy und Kloster-
mann, ebenso für die Gliederung des Lobgesangs in zwei durch καί verbun-
dene Hälften: δόξα έν ύψίστοις θεω ■—■ καί έπί γης ειρήνη (έν) άνθ-ρώποις εύδοκίας
(gegen Harnack, Berliner Sitzungsberichte 1915, 854ff.) und für die Text-
frage, die durch die alte, seit dem sinaitischen Syrer bezeugte Lesart ευδοκία
gestellt ist.
2 Dittenberger, Orientis inscriptiones II 458, 35ff. ώσπερ ήμεΐν καί
τοΐς μεθ·’ ή[μάς σωτήρα πέμψασα] τον παύσοντα μέν πόλεμον κοσμήσοντα [δέ πάντα],
3 Inscr. in the Brit. Museum 894 είρηνεύουσι μέν γάρ 'γή καί θάλαττα,
πόλεις δέ άν-9-ουσιν εύνομία όμονοία τε καί εύετηρία, vgl. auch Dittenberger,
Orientis inscriptiones I 199, 35 καί έν ειρήνη καταστήσας πάντα τον ύπ5 έμοί κόσμον.
4 Natürlich ist eine scharfe Abgrenzung zwischen „Friede“ und „Heil“
nicht immer möglich. Lukas hat z. B. den messianischen Zuruf beim Einzug
in Jerusalem 19, 38 um die Worte erweitert: έν ούρανω ειρήνη καί δόξα έν
ύψίστοις. Das würde man zunächst übersetzen: „Heil im Himmel und Herr-
lichkeit in der Höhe“. Da die Erzählung Jesus aber als sanftmütigen Friedens-
fürsten darstellen will, so fragt es sich immerhin, oh mit ειρήνη nicht „Friede“
gemeint ist.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-histor. Kl. 1981/32. 4. Abh.
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Auf die Darstellung des Zeichens folgt der Lobgesang der Engel,
kein Wunsch —■ Gott möge verherrlicht werden —, sondern eine
„messianische Akklamation1“. In der Apokalypse des Johannes
singt der himmlische Chor: „Heil und Preis und Macht ist unseres
Gottes“ (19, 1. 2) und verkündet diesen immerwährenden Zustand,
weil ein bestimmtes Ereignis eingetreten ist, das Gericht über die
„große Hure“. So wird auch hier die immer geschehende Verherr-
lichung Gottes in Himmelshöhn neu verkündet, weil der Heiland
geboren ist. Auf Erden ist damit Neues und Großes eingetreten:
ειρήνη unter Menschen des Wohlgefallens. Wieder fühlt man sich
an Herrscherinschriften erinnert, dieAugustus als den σωτήρ feiern,
der den Krieg beendet2, unter dessen πρόνοια Land und Meer
Frieden genießen3. Aber so verlockend die Parallele ist, so muß
doch auch hier die Interpretation eingeschränkt werden: es ist nicht
die Rede von Krieg und Streit, die beendet sind, sondern von etwas,
das Gott unter den άνθρωποι εύδοκίας zur Verwirklichung bringt ;
und in diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß ειρήνη
als Ersatzwort für das hebräische schalom auch „Heil“ bedeutet
und in einer messianischen Verkündigung an das friedliche Gottes-
volk (nicht an eine krieghelastete Welt) füglich bedeuten muß4. Daß
άνθρωποι εύδοκίας die Menschen heißen, an denen Gott sein Wohl-
gefallen hat, daß der Ausdruck also als Wiedergabe des hebräischen
ansche oder bne razon zu verstehen und nicht auf menschlichen
guten Willen zu beziehen ist, haben Strack-Billerbeck und Jo-
1 Für diesen Ausdruck s. die Kommentare von Loisy und Kloster-
mann, ebenso für die Gliederung des Lobgesangs in zwei durch καί verbun-
dene Hälften: δόξα έν ύψίστοις θεω ■—■ καί έπί γης ειρήνη (έν) άνθ-ρώποις εύδοκίας
(gegen Harnack, Berliner Sitzungsberichte 1915, 854ff.) und für die Text-
frage, die durch die alte, seit dem sinaitischen Syrer bezeugte Lesart ευδοκία
gestellt ist.
2 Dittenberger, Orientis inscriptiones II 458, 35ff. ώσπερ ήμεΐν καί
τοΐς μεθ·’ ή[μάς σωτήρα πέμψασα] τον παύσοντα μέν πόλεμον κοσμήσοντα [δέ πάντα],
3 Inscr. in the Brit. Museum 894 είρηνεύουσι μέν γάρ 'γή καί θάλαττα,
πόλεις δέ άν-9-ουσιν εύνομία όμονοία τε καί εύετηρία, vgl. auch Dittenberger,
Orientis inscriptiones I 199, 35 καί έν ειρήνη καταστήσας πάντα τον ύπ5 έμοί κόσμον.
4 Natürlich ist eine scharfe Abgrenzung zwischen „Friede“ und „Heil“
nicht immer möglich. Lukas hat z. B. den messianischen Zuruf beim Einzug
in Jerusalem 19, 38 um die Worte erweitert: έν ούρανω ειρήνη καί δόξα έν
ύψίστοις. Das würde man zunächst übersetzen: „Heil im Himmel und Herr-
lichkeit in der Höhe“. Da die Erzählung Jesus aber als sanftmütigen Friedens-
fürsten darstellen will, so fragt es sich immerhin, oh mit ειρήνη nicht „Friede“
gemeint ist.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-histor. Kl. 1981/32. 4. Abh.
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