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Schadewaldt, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1933/34, 3. Abhandlung): Die Niobe des Aischylos — Heidelberg, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.40168#0024
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Wolfgang Schadewaldt

Neu und folgenreich sind zwei weitere Tatsachen, die unser
Fragment liefert. Der Bericht des 'Boten’ wird nicht dem Amphion
oder Tantalos, wie Hermann vermutete, sondern dem Chor er-
stattet. Tantalos kommt nicht von ungefähr und nichtsahnend,
etwa aus dem Kreis der Götter* 1, sondern mit einer ganz bestimmten
Absicht: 11 άγων (οϊσων ?) κόμιστρα τήσδε. Die Bedeutung dieses
seltenen Ausdrucks ist durch Latte (28) und Körte (259) voll-
kommen sichergestellt: er meint das 'Bringen’ mit dem Nebensinn
der 'Rettung’2. Diese 'Bergung’ der Tochter ist der bestimmte
Zweck, zu dem Tantalos, wie der Chor weiß, nächstens eintreffen
wird. Daraus folgt, daß Tantalos von der Katastrophe gehört hat
und eben zur Unterstützung der Tochter herbeieilt. Was er noch
nicht gehört hat, das ist die Leidenssucht, mit der sich Niobe dem
Schmerz hingibt, jeden Zuspruch von sich weisend. Man sieht
selbst, wie dadurch das Thema der Tantalosszene, wie Hermann
sie vermutet, vorbereitet wird: Zuspruch des Vaters an die Tochter,
sich nicht haltlosem Gram hinzugeben, sondern ins Leben zurück-
zukehren — trotziges Verharren im Gram auf Seiten der Niobe.
Es ist wirklich äußerst wahrscheinlich, daß Fr. 161 ’Der Tod läßt
sich durch keine Bitten und kein Opfer erweichen’ in diese Tantalos-
szene, und zwar in eine Paraenese des Tantalos an Niobe gehört.
Redet Tantalos ferner (vielleicht beim Auftreten) von seinem
Reichtum und 'bald darauf’ (Plutarch, de exilio 603 a) von dem
Falf seines Glücks (Fr. 158/159), so braucht man, wenn er auf die
Kunde von Niobes Unheil gekommen ist, nicht nach einem anderen
Schicksalsschlag des Tantalos zu fahnden3. Ebenso klar ist, daß
das Widerstreben der Niobe und das Ringen des Vaters um die
Tochter weit einfacher entwickelt und klarer durchgeführt wird,
Szene der Niobe vor Augen hatte. Er hat dasMotiv dann aber so stark in seinen
Stil und seine Problematik umgesetzt — man denke daran, mit welcher psycho-
logischen Zuspitzung er seine Phaidra bei der Nennung des Namens Ilippolytos
seufzen läßt (310) -— daß man an dem Gegenstück nur erkennt, wie es bei
Aischylos bestimmt nicht gewesen ist. — Eine Einzelheit: Die Amme vergleicht
304f. die unrührbare Starrheit der Phaidra mit dem Meer — taub wie Fels
und Meeresbraus sei Medea, berichtet deren Amme, 28. Der Vergleich
stammt aus Homer dl. 16, 341, wo er auf die Unerbittlichkeit des Achill geht.
Sollte der Tragiker, der ihn auf dieletharge Verschlossenheit der Frau gewendet
hat, Aischylos in der Niobe gewesen sein?
1 Dagegen gut schon Wf.lcker 353.
2 Ilesych s. v. κομίσαΓ σώσαι. . ., άναγαγεΐν.
3 Zu dieser Klage des Tantalos über den Sturz seines Potmos Fr. 159
paßt gut die Klage der Niobe über das Unglück des Vaters Pap. 1/3.
 
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