Die Kriegsschuldfrage von 218 v. Ghr. Geb.
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der Umstand, daß er sich im ausgesprochenen Gegensatz zur heimi-
schen Regierung befindet oder, wie man es auch ausdrücken kann,
sie in eine Zwangslage versetzt.
In der Tat, so hatte Fabius1 die Dinge gesehen, so hatte auch
Livius sie geschildert. Aber wenn eines in der Geschichte dieser
aufgeregten Jahre mit Sicherheit festzustellen ist, so ist es die
Tatsache, daß der neue Feldherr mit beharrlicher Konsequenz
vom Augenblick seines Amtsantritts an in mehrjährigen Feldzügen
an der Befriedung, ja eigentlich muß man sagen, an der Unter-
werfung Innerspaniens gearbeitet hat. Nicht nach Norden in
Richtung auf die Ebrogrenze geht der Ausdehnungsdrang des
karthagischen Machtbereichs, sondern nach Westen und Nord-
westen. In zwei weitausholenden Unternehmungen stößt Hannibal
— das zweitemal in großartigem strategischem Umgehungsmarsch
— bis auf die Hochebene von Leon vor2. Er hat harte Kämpfe
zu bestehen, vor allem bei den Vakkäern findet er einen zähen,
wenn auch nicht unüberwindlichen Widerstand. Die ganze Un-
fertigkeit der Verhältnisse im inneren Spanien kann aber nicht
greller beleuchtet werden als dadurch, daß er auf dem Rückzug,
der quer über die hohen Pässe der Sierra da Guadarrama oder der
Sierra de Gredos nach Kastilien führte, beim Übergang über den
Tajo in eine kritische Lage geriet. Es ist kein Gedanke daran,
daß das hier wohnende Volk der Karpetaner, wie Livius leicht-
fertig behauptet, wirklich unterworfen oder auch nur eingeschüch-
tert war. Diese Feldzüge lassen ein helles Licht auf die Absichten
des karthagischen Oberkommandos fallen3: ein Feldherr, der
einen großen Angriffskrieg außer Landes plant, läßt sich nicht
auf einen so gefährlichen und unübersehbaren Kampf mit den Ein-
geborenen ein. Denn nachdem die Aufgabe der Unterwerfung
des Binnenlandes einmal in Angriff genommen war, lag es im Inter-
esse der karthagischen Sicherheit, daß hier erst Ruhe und Ordnung
geschaffen wurde, ehe das Oberkommando es wagen konnte, die
Hauptmasse des Heeres aus Spanien fortzunehmen.
Wieder ist Mommsen Livius’ Darstellung gefolgt. Wie un-
sagbar unzuverlässig sie ist, zeigt am besten eine Wiedergabe
1 Es verdient der Vergessenheit entrissen zu werden, daß sich schon bei
Ihne, Rom. Gesch. II 129, 9 die Bemerkung findet: ,,es nimmt einigermaßen
wunder, daß Mommsen im wesentlichen die falsche Darstellung des Fabius
wiederholt“.
2 Kb.oma.yer, Hist. Ztschr. 103, 1909, 252.
3 Kromayer, a. a. O., vgl. auch Groag, Hannibal als Politiker 51.
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der Umstand, daß er sich im ausgesprochenen Gegensatz zur heimi-
schen Regierung befindet oder, wie man es auch ausdrücken kann,
sie in eine Zwangslage versetzt.
In der Tat, so hatte Fabius1 die Dinge gesehen, so hatte auch
Livius sie geschildert. Aber wenn eines in der Geschichte dieser
aufgeregten Jahre mit Sicherheit festzustellen ist, so ist es die
Tatsache, daß der neue Feldherr mit beharrlicher Konsequenz
vom Augenblick seines Amtsantritts an in mehrjährigen Feldzügen
an der Befriedung, ja eigentlich muß man sagen, an der Unter-
werfung Innerspaniens gearbeitet hat. Nicht nach Norden in
Richtung auf die Ebrogrenze geht der Ausdehnungsdrang des
karthagischen Machtbereichs, sondern nach Westen und Nord-
westen. In zwei weitausholenden Unternehmungen stößt Hannibal
— das zweitemal in großartigem strategischem Umgehungsmarsch
— bis auf die Hochebene von Leon vor2. Er hat harte Kämpfe
zu bestehen, vor allem bei den Vakkäern findet er einen zähen,
wenn auch nicht unüberwindlichen Widerstand. Die ganze Un-
fertigkeit der Verhältnisse im inneren Spanien kann aber nicht
greller beleuchtet werden als dadurch, daß er auf dem Rückzug,
der quer über die hohen Pässe der Sierra da Guadarrama oder der
Sierra de Gredos nach Kastilien führte, beim Übergang über den
Tajo in eine kritische Lage geriet. Es ist kein Gedanke daran,
daß das hier wohnende Volk der Karpetaner, wie Livius leicht-
fertig behauptet, wirklich unterworfen oder auch nur eingeschüch-
tert war. Diese Feldzüge lassen ein helles Licht auf die Absichten
des karthagischen Oberkommandos fallen3: ein Feldherr, der
einen großen Angriffskrieg außer Landes plant, läßt sich nicht
auf einen so gefährlichen und unübersehbaren Kampf mit den Ein-
geborenen ein. Denn nachdem die Aufgabe der Unterwerfung
des Binnenlandes einmal in Angriff genommen war, lag es im Inter-
esse der karthagischen Sicherheit, daß hier erst Ruhe und Ordnung
geschaffen wurde, ehe das Oberkommando es wagen konnte, die
Hauptmasse des Heeres aus Spanien fortzunehmen.
Wieder ist Mommsen Livius’ Darstellung gefolgt. Wie un-
sagbar unzuverlässig sie ist, zeigt am besten eine Wiedergabe
1 Es verdient der Vergessenheit entrissen zu werden, daß sich schon bei
Ihne, Rom. Gesch. II 129, 9 die Bemerkung findet: ,,es nimmt einigermaßen
wunder, daß Mommsen im wesentlichen die falsche Darstellung des Fabius
wiederholt“.
2 Kb.oma.yer, Hist. Ztschr. 103, 1909, 252.
3 Kromayer, a. a. O., vgl. auch Groag, Hannibal als Politiker 51.