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Tellenbach, Gerd; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 1. Abhandlung): Roemischer und christlicher Reichsgedanke in der Liturgie des fruehen Mittelalters — Heidelberg, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.40170#0029
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Römischer und christlicher Reichsgedanke. 23
Prototyp des christlichen Volkes, gerade seine eigenen Leistungen
zum Schutz und zur Ausbreitung des Glaubens für hervorragend
zu halten, und in solcher Gesinnung sind in den verschiedenen
Ländern die gleichen Messen für König und Reich, Frieden und
Sieg gefeiert worden. So ist es denn gerade charakteristisch für den
christlichen Reichsgedanken, daß er den Zerfall des Römerreiches
trotz der zeitweiligen innigen Verquickung von Reich und Kirche
zu überstehen vermochte, daß er weiterlebte, wo nur immer ein
christliches Staatswesen bestand, daß er dem wachsenden und
mächtig in der Welt wirkenden Reich der Franken seine universale
Ideologie lieferte, aber wieder den Zerfall dieses Großreiches über-
dauerte und von den Einzelstaaten weiter getragen wurde. Die
universale Idee der ecclesia, des mundus christianus, des populus dei
hat zu ihrem Bestehen keinen universalen Staat nötig* 1.
In der Liturgie spiegelt sich die Lösung des christlichen vom
römischen Reichsgedanken deutlich wieder. Es ist schon geschil-
dert worden, wie im 8. Jahrhundert in zahlreichen Fällen das
„römisch“ als Anachronismus beseitigt wurde. Es herrschen an-
scheinend in den Sakramentaren des Frankenreiches um diese Zeit
die Ausdrücke Imperium oder regnum, rectores, securitas, libertas,
nomen Francorum. Aber schon damals kommt der Brauch auf, die
alten universalen Begriffe christlich zu nennen, und vom 9. Jahr-
hundert ab wird er herrschend. Es ist reizvoll, die Schreiber der
Sakramentare und diejenigen, die sich ihrer bedienten und nötigen-
falls Zusätze und Änderungen eintrugen, bei ihrer Tätigkeit zu
beobachten. In einem St. Galler Sakramentar vom Ende des
8. Jahrhunderts ist im Karfreitagsgebet für den Kaiser Imperium
die erst durch Bonifatius ins Frankenreich verpflanzt wurde, läßt Beziehungen
zum jüdisch-christlichen Reichsgedanken erkennen. Vgl. H. v. Schubert,
Geschichte der christlichen Kirche im Frühmittelalter (1921), S. 254f. und
283ff. Zur Universalitätsidee im England des X. Jahrhundert vgl. etwa Const.
Odonis Cantuariensis archiepiscopi (943), c. 9 (Mansi XVIII, 396f.): Ideo
providendum est, fratres, ut sit concordia et unanimitas inter episcopos et prin-
cipes omnemque populüm Christianum, ut sit unitas ubique ecclesiarum dei et
pax: immo una sit ecclesia, fide, spe et caritate unurn habens caput, quod est
Christus. Hierzu sei daran erinnert, daß seit dem Anfang des 9. Jahrhunderts
ecclesia als Synonym von mundus Christianus vorkommt.
1 Vgl. R. Faulhaber, Der Reichseinheitsgedanke in der Literatur der
Karolingerzeit bis zum Vertrage von Verdun, Eberings Hist. Studien CCIV
(1931) und dazu die Bemerkungen von P. W. Finsterwalder, HZ CXLVI
(1932), 537ff.; A. Schultze, Kaiserpolitik und Einheitsgedanke in den karo-
lingischen Nachfolgestaaten, Diss. Berlin 1926.
 
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