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Josef Koch Cusanus-Texte: I. Predigten 2/5.

er zu den späteren Stücken der Hs. gehört. Über die Kopie in Vx
(f. 68vb) hat Nicolaus geschrieben: In Parasceve Confluencie.
Das zwei Seiten umfassende Stück1 beginnt mit einer breit
angelegten allegorischen Erzählung, die dem Volke die Größe der
Herablassung Christi, der für uns litt und starb, klarmachen soll.
Die ursprüngliche Fassung hat Nicolaus durch eine Anzahl von
Korrekturen in wesentlichen Punkten geändert. Von jener nach-
her; der wesentliche Inhalt der Erzählung nach der zweiten Fas-
sung ist dieser: Ein Betrüger hatte die Adoptivtochter eines Königs
in ihrer frühesten Jugend auf eine ferne Insel verschleppt. Dort
fand sie des Königs Sohn, der auf Geheiß des Vaters ausgezogen
war, sie zu suchen, und verkündete ihr, woher sie stamme; ein gar
erhabener König habe sie als Tochter und Erbin angenommen. Das
alles erschien ihr höchst unglaubhaft; ebensowenig ließ sie sich
davon überzeugen, daß sie von Vater und Mutter auf natürliche
Weise gezeugt worden sei, sich neun Monate im Mutterschoß be-
funden habe usw. Für sie war das gegen alle Vernunft und darum
unglaubwürdig. Sie hörte den Königssohn aber immer wieder an,
und was die Vernunft nicht erreichte, bewirkte die Liebe; sie
glaubte ihm schließlich. Nun kam ihr aber ihre eigene Armselig-
keit zum Bewußtsein und sie jammerte unaufhörlich in dem Gedan-
ken, der Königssohn könne sie nicht lieben. Um ihr seine Liebe
zu beweisen, nahm er ihre Mängel auf sich. Im Kampf überwindet
er dann jenen Bäuber und Betrüger, wird aber von ihm selbst so
schwer verwundet, daß er stirbt. Nunmehr ist die Jungfrau völlig
von der Wahrheit seiner Botschaft durchdrungen; sie bittet Gott,
ihn um ihretwillen wieder lebendig zu machen. ,,Denn vergebens
hat er mich aus der Einöde herausgeführt, wenn ich mich seiner
nicht erfreuen darf.“ Und so ist denn der Sohn vom Vater auf-
erweckt worden.
Zu dieser Erzählung ist Nicolaus ohne Zweifel von Eckhart
angeregt worden. Dieser hat die Leidensgeschichte des Herrn nicht
in seine Auslegung des Johannesevangeliums einbezogen, wohl in
der klaren Erkenntnis, daß seine Methode diesem Stoff gegenüber
versagen mußte. Statt dessen erzählt er eine Mär, die er auch
gelegentlich in einer deutschen Predigt verwendet2: Ein Ritter,
1 C lOOr—v; Vx 68vb —69va. Das Stück ist in Excit. III f. 42r bis
43r ganz wiedergegeben.
2 In loh. n. 683 (130rb): „'Haec cum dixisset Iesus’ etc. et sequens unde-
vicesimum loquitur de passione Christi. Notandum: narratur de milite, qui
 
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